Sir John Hegarty gibt zu, noch nie im Leben getwittert zu haben: "Ich bin noch nie ein Flugzeug geflogen, und trotzdem verstehe ich, wie Flugzeuge funktionieren."

Foto: Hegarty

Als Mitbegründer von Bartle Bogle Hegarty (BBH) ist Sir John Hegarty einer der großen Stars der internationalen Werbeszene. Im Augenblick tourt er durch die Lande, um "zehn Gründe" vorzustellen, "warum jetzt die beste Zeit ist, in die Werbung zu gehen". Im Frühjahr war er an der Fachhochschule Salzburg zu Gast, Montag (7. Juni) spricht er auf Einladung der International Advertising Association, Sektion Österreich, in der Wiener Secession.

Im Interview mit Markus Peherstorfer spricht Hegarty darüber, wie Youtube die Werbung verändert, was er von Twitter hält, über Mozart und die E-Gitarre, darüber, was ihn an Bio-Joghurt fasziniert und warum er sich die ideale Werbagentur wie eine Kunsthochschule vorstellt.

etat.at: Sie sagen, jetzt sei der beste Zeitpunkt, um in die Werbung zu gehen. Wie können Sie das angesichts der Wirtschaftskrise sagen, die wir gerade erleben?

Hegarty: Da gibt es zwei Antworten. Eine ist: In Wirtschaftskrisen ist Kreativität der einzige Ausweg. Wenn wir in der Kreativbranche sind, sind wir ein Teil der Lösung. Daneben haben wir heute eine Explosion der Technologie, die uns erlaubt, mit unseren Zielgruppen auf eine Art zu kommunizieren, die einzigartig ist. Wir haben in unserem Leben nie so eine Explosion wie jetzt erlebt, und wir werden vermutlich die nächsten 20, 40, 50 Jahre keine solche Explosion mehr erleben. Unsere Branche wird, so nenne ich das, ein goldenes Zeitalter erleben.

etat.at: In Ihren Reden präsentieren Sie "Zehn Gründe, warum jetzt die beste Zeit ist, um in die Werbung zu gehen". Worum geht es bei diesen zehn Gründen?

Hegarty: Da geht es im Wesentlichen um Technologie, unsere Fähigkeit, etwas auf verschiedene Arten zu kreieren, unsere Fähigkeit, für sehr wenig Geld mit einem riesigen Publikum zu kommunizieren. Ich meine, eine Kritik an der Werbung war doch immer, dass sie ein Klub für reiche Leute war. Die großen Konzerne waren bevorzugt, weil die Menge an Geld, die man für die Werbung brauchte, einfach so groß war. Kleine Unternehmen hatten da nicht davon. Heute stimmt das überhaupt nicht mehr. Man kann jetzt nur wenig Geld für Werbung ausgeben und damit ein sehr, sehr großes Publikum erreichen.

Technologie ist immer etwas gewesen, das die Kreativität vorangebracht hat. Stellen Sie sich Mozart ohne Klavier vor. Da wäre er wohl kein großartiger Komponist geworden. Oder wie die E-Gitarre die moderne Musik verändert hat. Ohne E-Gitarre würden wir immer noch Volksmusik singen.

etat.at: Sie haben gesagt, wir erleben gerade einen riesigen technologischen Wandel. Wie würden Sie die Auswirkung des Social Web auf die Werbung beschreiben?

Hegarty: Ich glaube, die Folgen werden wir erst noch sehen, und jeder versucht ja gerade herauszufinden, wie wir uns darauf einlassen sollen. Ich sage lieber "sich darauf einlassen" als "benutzen". Ich ermutige unsere Leute dazu, über das Publikum zu sprechen statt über Konsumenten. "Konsumenten", das scheint mir sehr altmodisch, das bedeutet eine untergeordnete Beziehung, während "Publikum" eine Zweiweg-Kommunikation mit einschließt, auf die man sich einlässt, weil sie interessant ist.

Ich denke, wir müssen unsere Beziehung zum Publikum überdenken. Und da glaube ich, dass wir uns auf Dinge wie Facebook, Twitter, all diese Instrumente, die wir haben, auf eine sehr respektvolle Art einlassen müssen. Wenn wir sie nur als ein weiteres Medium ansehen, über das wir subversive Botschaften übermitteln, dann wird das auf uns zurückfallen, glaube ich.

etat.at: Wie viel Zeit verbringen Sie persönlich auf diesen Plattformen?

Hegarty: Ich twittere überhaupt nicht. Aber, wissen Sie, ich bin noch nie ein Flugzeug geflogen, und trotzdem verstehe ich, wie Flugzeuge funktionieren. Ich denke, man muss diese Dinge nicht alle selber ausprobieren, um ihren Wert zu verstehen. Man entscheidet sich einfach, womit man seine Zeit verbringt. Und ich verbringe meine Zeit lieber mit persönlichen Kontakten als über irgendetwas zu twittern.

etat.at: Wie, glauben Sie, muss eine Werbeagentur aufgestellt sein, um den ständigen Kampf um Aufmerksamkeit zu gewinnen?

Hegarty: Wissen Sie, wir reden über BBH, als wären wir die ultimativ kreativste Firma der Welt. Das sind wir nicht. Wirklich nicht. Aber das wären wir gern. Wir wären gern eine Firma, die einfach unglaublich kreative Leute als Mitarbeiter hat, die Sachen machen, die die Vorstellungskraft der Menschen beflügeln. Dass Kunden zu uns kommen und sagen: Wir würden uns bei diesem und jenem Projekt gern mit den Menschen einlassen, können Sie mit uns arbeiten, um etwas zu kreieren, das eine Verbindung zur möglichen Zielgruppe schafft?

Wir als Agentur verändern uns schnell. Gegenüber dem Stand vor fünf Jahren ist BBH fast nicht mehr wiederzuerkennen. Wir erfinden jetzt selber Produkte, wir haben eine eigene Content-Abteilung, die Fernsehprogramme erstellt, wir arbeiten mit einer zweiten Firma zusammen, um Online-Content herzustellen, wir produzieren Computerspiele - ich glaube, die Zukunft ist sehr aufregend, die ganze Firmenkultur bei BBH ist sehr aufregend.

Ich würde mir wünschen, wenn die Firma so wäre wie eine einzige große Kunsthochschule. Ich erinnere mich immer daran zurück, wie das war, als ich auf die Kunsthochschule ging. Das war wahrscheinlich der interessanteste Ort, an den ich jemals gekommen bin. Einfach durch die Leute dort und das, was sie gemacht haben - wir hatten Modeleute, Produktdesigner, Maler, Bildhauer, Theaterleute, und die sind kreuz und quer gelaufen in diesem riesigen Gebäude.

Da war man mit Leuten zusammen, die einfach wirklich sehr, sehr interessant waren. Das war unglaublich stimulierend. Und ich glaube, irgendwie gehen wir zurück in diese Richtung. Wir reden bei BBH über fließende Abteilungen, ohne Wände, wo man von einer Gruppe zur nächsten fließt, weil man an einem bestimmten Projekt eben mit ganz bestimmten Leuten zusammen arbeiten möchte. Das ist ein bisschen unsere Vision für BBH.

etat.at: Gibt es irgendeine spezielle Kampagne, von der Sie finden, sie lässt sich besonders gut auf die neuen Kommunikationswege des Social Web ein?

Hegarty: Eine ganze Menge. Da war zum Beispiel die Markteinführung von Smirnoff Raw Tea an der US-Ostküste, die komplett auf Youtube stattfand (---> Video). Oder eine Kampagne, die wir für die Tourismuswerbung von New York City gemacht haben, die die Straßenmusiker von New York zum Thema hatte (---> Video) und Gold in Cannes gewonnen hat.

Und wir haben Youtube als ein Mittel benutzt, um Kunden zu ermutigen, interessantere Sachen zu machen. Zum Beispiel mit der Markteinführung der Xbox in Europa (---> Video). Für Audi haben wir sogar einen eigenen Fernsehsender eingeführt. Vor zehn Jahren wäre das noch nicht möglich gewesen. Das sind Beispiele, wie uns die Technologie immer neue kreative Möglichkeiten gibt.

etat.at: Sie machen schon seit langer Zeit Werbung für große internationale Marken. Gibt es irgendeine Marke oder ein Produkt, für das Sie gern einmal werben würden?

Hegarty: Die Leute fragen das oft. Aber nein, das gibt es nicht wirklich. Wofür ich mich wirklich interessiere, sind kommunikative Leute, die Dinge verändern. Ich weiß nicht, wo die sind. Die kommen einfach aus heiterem Himmel daher. Wir haben gerade angefangen, mit einer britischen Firma namens Yeo Valley zu arbeiten, die Bio-Joghurt herstellt. Die haben eine echte Vision, wie sie die Leute von Bio-Joghurt überzeugen wollen. Das finde ich faszinierend, das ist das, was ich wirklich mag. Und ich habe mich nicht vor zwei Monaten hingesetzt und mir gedacht, ich würde echt gern einmal mit einer Bio-Joghurt-Firma zusammenarbeiten.

etat.at: Auch BBH wurde von Krise hart getroffen, obwohl die Belegschaft sogar Gehaltskürzungen akzeptiert hat. Trotzdem mussten Sie sich von Mitarbeitern trennen - wie viele waren das?

Hegarty: Das letzte Jahr war sehr, sehr schwierig. Wir wollten das durchstehen, indem jeder von uns eine Gehaltskürzung in Kauf nahm. Das war fantastisch von allen - aber es war eine härtere, tiefere Rezession, als wir vorausgesehen hatten. Die Kunden sind gekommen und haben gesagt, sie kürzen die Etats. Also mussten wir leider zehn Prozent unserer Mitarbeiter gehen lassen. Das sind ungefähr 40 Leute.

etat.at: Abseits der neuen Technologien: Welche Trends sehen Sie zur Zeit in der klassischen Werbung, in klassischen Medien wie Plakat oder Fernsehen?

Hegarty: Ich denke, wir werden eine große Veränderung bei der Außenwerbung sehen, ein bisschen wie bei "Bladerunner", mit bewegten Bildern und so weiter. Eine der großen Änderungen, die stattfinden wird, ist 3D-Fernsehen. Das wird die Faszination der Leute für Fernsehwerbung wieder stärken. Und ich denke, die Einführung des iPad wird fantastisch sein für die Printmedien. Es wird die Zeitungen verjüngen, die in den meisten westlichen Ländern mit Rückgängen zu kämpfen haben. Wohin diese Entwicklungen alle führen, wissen wir nicht. Mein Spruch ist da immer: Es gibt keine Fakten über die Zukunft.

etat.at: Dennoch - vielleicht wollen Sie einen Tipp abgeben, wie ihre Firma in 20 Jahren funktioniert?

Hegarty: Ach, wer weiß. Wer weiß, ob es sie überhaupt noch gibt. Sie könnte ganz anders sein. Aber ich denke, wenn wir im Kreativgeschäft sind, muss das Aufgreifen des Wandels, das Aufgreifen neuer Dinge Teil unserer DNA sein. Ich meine, das Wesen der Kreativität ist doch, Neues zu schaffen.

etat.at: Können Sie irgendetwas über die österreichische Werbung sagen?

Hegarty: Überhaupt nichts. Nicht weil ich mich für österreichische Werbung nicht interessieren würde - ich bin einfach kein Experte. Ich will keine Kommentare abgeben, aber ich bin sicher, sie ist wundervoll. Solange sie Kreativität als Antwort auf ihre Probleme begreift.

etat.at: Gibt es im Onlinebereich irgendeine Kampagne, die Sie besonders toll finden?

Hegarty: Eine enorme Anzahl. Aber irgendwie fällt mir keine wirkliche Onlinekampagne ein, die aus Online ausgebrochen ist. Das ist aber der Punkt. Bei BBH reden wir über "Berühmtheit" und darüber, warum das wichtig ist. Wir sehen Online eher als eine Möglichkeit, die Berühmtheit einer Marke zu steigern. Ich sehe keine Kampagnen, wo ich mir denke, das war brillant und hat meine Sichtweise geändert. Aber vielleicht sollte ich einfach mehr Zeit im Internet verbringen. Ich bin sicher, das kommt noch.

etat.at: Das ist ja nicht das erste Mal, dass Sie über die "Zehn Gründe" reden, "warum jetzt die beste Zeit ist, um in die Werbung zu gehen". Was hat sie dazu gebracht, solche Reden zu halten?

Hegarty: Ich habe mich einigermaßen geärgert, als ich die Leute immer wieder fragen gehört habe, ob es für die Werbung eine Zukunft gibt. Ich habe mit einer Gruppe Studenten gesprochen und wurde genau das gefragt: Kommen wir in eine Branche, die sich auf dem Rückzug befindet? So hat das angefangen: um Studierenden zu sagen, dass jetzt ein brillanter Moment ist, um in die Werbung zu gehen.

etat.at: Was würden Sie Einsteigern in der Werbebranche heute raten?

Hegarty: Sich auf die Technologie einlassen, sich nicht davor fürchten. Damit spielen. Wenn ich heute in die Werbebranche käme, würde ich mit einer Videokamera leben, alles filmen, was ich interessant finde, kleine Beobachtungen, Ideen, ich würde das zusammenschneiden, Musik darunterlegen, kurze Filme machen. Ich würde mich wirklich auf die Technologie einlassen. (Markus Peherstorfer, derStandard.at, 23.03.2010)