Zur Person:

Eva Rásky (54) ist Allgemeinmedizinerin und arbeitet am Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Medizinischen Universität Graz. Ihre Spezialgebiete: Frauengesundheit, -versorgung und Screening.

 

Foto: Standard/Regine Hendrich

Zur Person:

Christian Singer (45) ist Gynäkologe und arbeitet an der Universitätsklinik für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Medizinischen Universität Wien. Seine Forschungsgebiete: Erblicher Brust- und Eierstockkrebs.

 

Foto: Standard/Regine Hendrich

Standard: Österreichs GynäkologInnen erinnern Frauen in einer Kampagne an den Besuch beim Frauenarzt. Warum?

Singer: Ein regelmäßiger Besuch beim Frauenarzt ist für Brustkrebsfrüherkennung und Gebärmutterhalskrebsvorsorge wichtig. Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Frauen, jede achte erkrankt. Unser Ziel ist, Krankheiten früh zu entdecken.

Standard: Warum empfehlen Sie Mammografie ab dem Alter von 40?

Singer: Bis zur Implementierung eines österreichweiten Brustkrebsfrüherkennungsprogramms folgen wir der Empfehlung der Krebshilfe.

Rásky: Die Empfehlung, dass Frauen ab 40 regelmäßig zum Mammografiescreening sollen, ist wissenschaftlich nicht belegbar. Groß angelegte Studien haben ergeben, dass es für Frauen ab 50 Jahren einen Nutzen hat. Die Evidenz-basierten Ergebnisse stammen von Studien aus Ländern, die ein systematisches Mammografie-Screening machen, in Österreich gibt es das nicht, insofern ist der Nutzen hier schwer bis gar nicht abschätzbar.

Standard: Können Sie die Untersuchungsart erklären?

Rásky: Wenn Frauen einen Knoten in der Brust ertasten und zur Abklärung geschickt werden, ist das diagnostische Mammografie, darüber gibt es keine Diskussion. Umstritten ist das Mammografiescreening, also Früherkennung bei gesunden Frauen, das bald flächendeckend eingeführt werden soll. In Österreich passiert Brustkrebsvorsorge derzeit auf freiwilliger Basis, opportunistisches Screening ist der Fachbegriff, doch es gibt EU-Empfehlungen folgend Pläne für ein systematisches, qualitätsgesichertes Screening. Frauen ab 50 werden dann eingeladen werden, daran teilzunehmen. Nur so kann der wissenschaftlich belegte Nutzen auch tatsächlich erzielt werden.

Standard: Was sagt die Statistik?

Rásky: Durch Mammografie-Screening bei Frauen zwischen 40 und 50 Jahren würde man erreichen, dass von 2000 Frauen eine profitiert.

Singer: Profitieren heißt: nicht an Brustkrebs zu sterben, weil der Krebs früh erkannt wird. In der Altersklasse ab 50 Jahren hat eine von 377 Frauen diesen Nutzen, das ist eine beeindruckende Zahl.

Rásky: Deshalb wird in den meisten Ländern Screening erst ab dem 50. Lebensjahr empfohlen.

Singer: Das Alter spielt eine wesentliche Rolle, das ist unbestritten. Ich muss aber ganz klar an dieser Stelle sagen, dass Mammografiescreening für beide Gruppen sinnvoll ist. Denn sie senkt erwiesenermaßen die Sterblichkeit in beiden Fällen gleich stark. Nur ist es so, dass eben viel weniger Frauen zwischen 40 und 50 an Brustkrebs erkranken als nach 50. Der absolute Nutzen ist daher geringer, und das wiederum bedeutet, dass ich mehr Frauen untersuchen muss, um eine zu retten.

Rásky: Sehr viele Frauen verstehen die Logik nicht. Und genau da sehe ich das Problem. Oft wird einer Frau vermittelt, dass sie diejenige Frau ist, die durch das Mammografiescreening gerettet wird, oder dass Mammografie Brustkrebs sogar verhindert. Das stimmt aber nicht. Nur durch entsprechende Aufklärung können Frauen dann informierte Entscheidungen für oder gegen das Mammografiescreening treffen.

Standard: Was sind Nachteile?

Rásky: Eine wichtige Frage ist, wie Mammografiescreening durchgeführt wird. In Österreich ist das Niveau der Qualitätssicherung niedrig. Der Test ist nicht genau und hängt auch vom Alter der untersuchten Frau ab. Bei unter 40-Jährigen gibt es mehr falsch positive Befunde als bei ab 50-Jährigen. Ein positiver Befund ist nur ein Verdacht, der weiter abgeklärt werden muss, und heißt nicht, dass Brustkrebs vorliegt. Bei 50-Jährigen mit auffälligem Befund stellen sich am Ende nur zehn Prozent als Brustkrebs heraus. Für Frauen in dieser Situation bedeutet die Zeit der Abklärung eine große Unsicherheit.

Singer: Dafür hat man am Ende Gewissheit. Glücklicherweise erweisen sich die meisten auffälligen Befunde als gutartig. Die Unsicherheit ist kein Argument gegen Screening. Sollte eine Biopsie gemacht werden müssen, gibt es zwar die äußerst geringe Gefahr von Blutungen, doch eine Biopsie bringt eine zweifelsfreie Diagnose, was die Bösartigkeit eines Knotens betrifft.

Rásky: Die meisten Frauen erfahren diese Risiken aber nicht.

Singer: Ein guter Gynäkologe klärt auf. Es wäre unsinnig, die Mammografie wegen dieser Unsicherheiten nicht zu empfehlen.

Rásky: Ich sehe einen Unterschied, etwas zu empfehlen oder eine umfassende Information über Vorteile und Nachteile zum Mammografiescreening zu geben. Frauen müssen, um entscheiden zu können, wissen, worauf sie sich einlassen. So sehen es auch die EU-Richtlinien vor.

Singer: Gynäkologen sollen informieren. Meine Sorge ist nur, dass die Betonung von potenziellen Nachteilen dazu führt, dass Frauen erst gar nicht zur Mammografie gehen. Das kann nicht der Sinn von Aufklärung sein.

Standard: Im Umkehrschluss heißt es aber auch, dass es falsch negative Befunde gibt, die Mammografie also keine Garantie ist?

Singer: Ja. Durch die Mammografie können niemals alle Formen von Brustkrebs entdeckt werden. Man entdeckt einen hohen Prozentsatz, entdeckt Brustkrebs vor allem früher, also bevor die Krebszellen die Lymphknoten befallen haben. Diese Früherkennung ist für die Behandlung und die Heilungsprognosen entscheidend.

Rásky: Je jünger die Frauen, umso mehr falsch positive Befunde werden gestellt, das Mammografiescreening gibt keine 100-prozentige Sicherheit, einen Brustkrebs zu entdecken.

Singer: Einer der großen Vorteile ist aber auch, dass eine Vorstufe von Brustkrebs, das duktale Carcinoma-in-situ, durch Screenings früher entdeckt wird. Es handelt sich um bösartige Zellen, die schon da sind, aber noch auf Drüsenläppchen begrenzt sind. Die lassen sich durch Früherkennungsmammografien entdecken und durch eine Operation entfernen. Jetzt könnte man po- stulieren, dass diese Vorstufe möglicherweise erst in einigen Jahren bösartig wird und eine Operation deshalb nicht unbedingt einen Nutzen bringt. Das Problem daran: Wir wissen nicht, wann aus der Vorstufe ein lebensgefährlicher Tumor wird.

Rásky: Aus sozialmedizinischer Sicht sprechen wir von Über- diagnose. Mittels Mammografie-screening wird ein verdächtiger Befund gestellt, über die Entwicklung lässt sich keine Aussage machen, leider. Deshalb müssen verdächtige Knoten entfernt werden, alles andere wäre unethisch. Damit werden aber vielleicht auch gute Knoten entfernt.

Standard: Was sollten Frauen, die sich für die Teilnahme an einem Mammografiescreening entscheiden, beachten?

Rásky: Frauen sollen sich genau informieren. Wer sich für die Brustkrebsfrüherkennung entscheidet, soll den Röntgenologen fragen, wie viele Screening-Mammografien er pro Jahr befundet. Die EU schreibt 5000 pro Jahr vor, und vielleicht fragt man dann auch gleich im Vorfeld, wie viele falsch positiven Befunde derjenige Arzt pro Jahr hat. Auch der Hinweis, dass Mammogramme durch Kollegen noch einmal beurteilt werden, ist ein Qualitätshinweis.

Standard: Kommen sich nicht Röntgenologen und Gynäkologen in die Quere?

Rásky: Natürlich gibt es einen Interessenkonflikt. Mammografien werden von Röntgenologen gemacht. Je mehr Mammografien, umso größer der Verdienst. Die Krankenkasse bezahlt es ja.

Singer: Den Konflikt mit den Röntgenologen sehe ich nicht. Als Gynäkologen wollen wir unsere Expertise in der Aufklärung und Betreuung von Brusterkrankungen anbieten.

Rásky: Auf der Website der Österreichischen Gynäkologen findet man nichts über Mammografie.

Singer: Mammografie ist nur ein Aspekt, Lebensstil ein mindestens ebenso bedeutsamer. Wir wissen, dass eine übergewichtige Frau nach der Menopause ihr Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, um 50 Prozent reduziert, wenn sie 4,5 Kilo abnimmt. Wenn eine Frau ein Glas Wein pro Tag trinkt, macht das nichts, wenn sie drei Gläser trinkt, dann steigt das Brustkrebsrisiko um 14 Prozent. Das sind die Probleme. Wenn eine Frau vier Stunden Sport pro Woche macht, dann senkt sie ihr Mamma-Karzinom-Risiko um 30 Prozent. Eine Änderung des Lebensstils ist effektiver als Mammografie-Screening. Leider funktionieren Menschen nicht nach rationalen Maßstäben. Viele Frauen wollen es gar nicht so genau wissen. (Karin Pollack, DER STANDARD Printausgabe, 22.3.2010)