Bente Knoll, Brigitte Ratzer
"Gender Studies in den Ingenieurwissenschaften"
Verlag Facultas, Wien 2010
220 Seiten, 16 Euro
ISBN 978-3-7089-0533-4

Cover: Facultas Verlag

Die Buchautorinnen: Bente Knoll ...

Foto: Patrick Posch

... und Brigitte Ratzer

Foto: privat

"Was hat Gender mit Technik und Ingenieurwissenschaften zu tun?", fragen sich oftmals Studierende an Technischen Universitäten, wenn sie zum ersten Mal mit der Lehrveranstaltung „Gender Studies" konfrontiert sind. Die Technikerinnen Bente Knoll, sie lehrt als Genderexpertin an mehreren österreichischen Universitäten, und Brigitte Ratzer, Leiterin der Koordinationsstelle für Frauenförderung und Gender Studies an der TU Wien, geben in ihrem neuen Lehrbuch umfassende Antworten. "Dass es ein Grundlagenbuch zu Gender und Technik braucht, war uns schon lange klar", sagt Bente Knoll. "Mit 'Gender Studies in den Ingenieurwissenschaften' möchten wir EinsteigerInnen, Lernenden, Lehrenden und Forschenden eine Wissensbasis bieten und zugleich die zentralen Debatten sowie die Zusammenhänge im beruflichen Alltag von TechnikerInnen aufzeigen."

Eine Frage der Ethik

Dass Gender Studies in den Lehrplänen der Ingenieurwissenschaften fix verankert sein sollen, ist eine langjährige Forderung der beiden Autorinnen. "Bieten Sie ein Freifach an, Frau Kollegin", hörten sie dabei mehrfach als gut gemeinten Rat aus technischen Ausbildungsstätten. Ob Wahl-, Frei- oder Pflichtfach, das wird an den Fakultäten der Technischen Universitäten in Österreich unterschiedlich gehandhabt. An der TU Wien zum Beispiel ist Gender Studies nur im Bachelorstudium Architektur fix im Studienplan verankert. An der Johannes-Kepler-Universität in Linz sind Gender Studies für alle Studierenden der Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät verpflichtend.

Warum die Studierenden dazu verpflichten? "Es geht darum, was wir den AbsolventInnen mitgeben, wenn sie aus der Uni rausgehen", sagt Brigitte Ratzer. "Bei Gender Studies geht es nicht nur darum, dass Frauen sich in technischen Ausbildungen wohler fühlen, sondern auch um ethische Fragen wie die geschlechtsspezifischen Auswirkungen von Technik auf Umwelt und Gesellschaft - für mich ein Muss für angehende IngenieurInnen."

Technikfolgenabschätzung, die sich mit der Vermittlung zwischen Technikentwicklung und Gesellschaft befasst, werde in den aktuellen Studienplänen kaum erörtert, so Ratzer. Der Anspruch von Gender Studies sei es auch, die Denkweisen in Technik und Entwicklung langfristig in eine positive Richtung zu verändern:"Die AbsolventInnen sollen umwelt,- sozial- und gesellschaftsverträgliche Technologien entwickeln können und ein Bewusstsein dafür haben, was die Dinge, die sie erschaffen, bewirken können und für wen sie sie entwickeln."

Positives Echo

Die Rückmeldungen der Studierenden zur Lehrveranstaltung "Gender Studies" an der TU Wien seien sehr positiv, sagt Bente Knoll: "Es gibt eine große Nachfrage, die 25 Plätze sind schnell ausgebucht und es sind durchwegs mehr männliche als weibliche Studierende in den Seminaren. Die neue Generation der Technik-Studierenden ist gesellschafts- und wissenschaftskritisch, an ethischen Fragen interessiert und so sozialisiert, dass sie Gender Studies ernstnimmt." Der Gender-Begriff im Titel spiele dabei eine wichtige Rolle: "Mit 'Gender' fühlen sich beide Geschlechter angesprochen - 'Feministische Naturwissenschaft und Technik', wie es früher hieß, würde vermutlich nicht so viele männliche Studierende anziehen."

Von Geschichte bis Gegenwart

Warum Frauen an technischen Ausbildungsstätten noch immer "Exotinnenstatus" haben und wie sie damit umgehen, ist auch Thema im neuen Lehrbuch, ebenso die historische Entwicklung des IngenieurInnenberufs im deutschen Sprachraum, der zeigt, dass Frauen mit Ausnahme der aus dem Handwerk kommenden Zweige so gut wie keinen Zugang zu technischen Berufen hatten - an der TU Wien zu studieren war Frauen etwa erstmals 1919 möglich. Der unterschiedlichen Vorbildung und Sozialisation der Geschlechter sowie den Argumentationen aus der feministischen Technikkritik seit den 1970er-Jahren und der Entwicklung hin zur feministischen Technikgestaltung sind weitere Kapitel gewidmet.

Warum die "Quote" an technischen Unis vermutlich auch in den kommenden Jahren kaum erreicht werden wird, auch darüber machen sich Bente Knoll und Brigitte Ratzer Gedanken, wenn sie Gender Gap, gläserne Decke und "Leaky Pipeline" - das Phänomen, dass Frauen in der Karriereentwicklung zunehmend aus dem Wissenschaftsbetrieb ausscheiden - erörtern. Kritisch betrachten sie auch, wie Bilder von Technik in Werbung, Presse und PR das Bild von IngenieurInnenberufen nach außen mitbeeinflussen, denn: "Welche Botschaften damit transportiert werden, wirkt sich indirekt auch auf den Zugang von Mädchen und jungen Frauen zu technischen Ausbildungen und in Folge auf die 'Quote' aus", so Bente Knoll. In Broschüren, auf Webseiten und in den Selbstdarstellungen technischer Unis fänden sich immer die gleichen Bilder: ein chemisches Labor, eine blaue Arbeitsmontur, ein Bauteil, eine Turbine, ... - meist ohne arbeitende Menschen und wenn, dann selten mit einer Frau. "Man sollte auch Produktionsprozesse und reale Arbeitssituationen darstellen und vermitteln, dass IngenieurInnenberufe durchaus anwendungsbezogen und kommunikativ sind."

Technik vs. Geisteswissenschaft

Wünschenswert, so Bente Knoll, wäre eine stärkere Kooperation mit den Gender Studies in den Kultur- und Geisteswissenschaften, aber: "Die Perspektive der Technik-, Ingenieur- und Naturwissenschaften hatte in den von den Geisteswissenschaften geprägten Gender Studies bisher wenig Bedeutung. Gleichzeitig waren die Ergebnisse aus den Gender Studies für die Technik-, Ingenieur- und Naturwissenschaften auch kaum relevant." Die sozialwissenschaftliche Forschung über Technik sei bisher stets von einem vereinfachten Technikbild ausgegangen, jedoch: "Berufsbilder wie 'Alle TechnikerInnen müssen gute MathematikerInnen sein' oder 'Technische Berufe sind dreckig, ölig und schmierig' sind längst veraltet." Es brauche neue, optimalerweise gemeinsam erarbeitete, Zugänge und Ansätze, um hier neue Brücken schlagen zu können. (Isabella Lechner/dieStandard.at, 21.3.2010)