Gert Hoffmann, "Barcelona - Gurs - Managua. Auf holprigen Straßen durch das 20. Jahrhundert" . € 25, 60 / 256 Seiten. Dietz Verlag, Berlin 2009

Coverfoto: Dietz, Berlin

Der kleine Gert Hoffmann, am Ende des Ersten Weltkriegs gerade 17 Monate alt, erfuhr von seiner jüdischen Herkunft erst in der Volksschule, als er seiner Mutter erzählte, wie er zusammen mit Mitschülern einen Rabbinersohn verhöhnt hatte: "Jüdlein, Jüdlein, Jerusalem ist verloren!" Die Mutter eröffnete ihm daraufhin, dass auch er aus einer - seit Generationen assimilierten - jüdischen Familie stammt. "Aber ich habe mein Judentum mein ganzes Leben lang nie wirklich empfunden. Und ich habe ja auch das Glück gehabt, dass ich nie unmittelbar unter der Nazi-Herrschaft leben musste" , setzt Hoffmann fort.

Seine Familie hatte nicht dieses Glück. Die Eltern - der Vater war im Ersten Weltkrieg Offizier - landeten, nach vergeblichen Einreisebemühungen in andere Länder, 1939 in Brüssel und wurden beim deutschen Einmarsch als "feindliche Ausländer" nach Frankreich abgeschoben, wo sie in diverse Lager kamen. Der Vater starb 1944 in Le Vernet an Hunger und Erschöpfung, die Mutter kam mit einem der letzten Transporte nach Auschwitz und ist auf dem Weg dorthin verschwunden. Der Bruder fiel 1940 der Gestapo in die Hände und beendete sein kämpferisches Leben im KZ Groß-Rosen.

Hoffmann hat sich schon in der Kindheit als Antifaschist politisch orientiert. "Der Auslöser war mein fünf Jahre älterer Bruder. Der ist 1931 aus Deutschland in der Zeit der großen Arbeitslosigkeit zurückgekommen, er war Seemann und war damals schon Kommunist. Er hat mich dann hineingezogen in seine politischen Aktivitäten." Die turbulenten 30er-Jahre erlebt der Jugendliche im vollen politischen Bewusstsein - und, wie sein Bruder, auch auf Seite der Kommunisten. Und ab und zu im Gefängnis. Mit 20 Jahren wird Gert zu fünf Jahren verurteilt, kommt aber im Zuge einer Amnestie im Frühjahr 1938 frei, einen Monat vor Hitlers Einmarsch. Einen Tag vor dem fatalen 12. März gelingt ihm die Flucht nach Brünn - mit dem Ziel, von dort aus nach Spanien zu gelangen.

Wegen einigen Verzögerungen gelangt der junge Aktivist erst im Mai 1938 nach Spanien. Doch der Kriegseinsatz dauert nur kurz, der österreichische Brigadist erlebt gar keine Kampfhandlungen mehr. Nach der gescheiterten letzten Offensive am Ebro hatte die republikanische Regierung auf Druck des Völkerbundes entschlossen, die ausländischen Freiwilligen abzuziehen. Im Mai 1939 kommt der Flüchtling in das berüchtigte Lager Gurs am Fuße der Pyrenäen.

Hier sollte der 22-jährige österreichische Antifaschist fast drei Jahre seines jungen Lebens verbringen, zusammen mit 120.000 weiteren Flüchtlingen aus dem Spanischen Bürgerkrieg.

Vor wenigen Jahren hat die spanische Regierung beschlossen, den noch lebenden Mitgliedern der Internationalen Brigaden die Ehrenstaatsbürgerschaft zu verleihen. Von den etwa 1400 österreichischen Brigadisten leben noch fünf. Wie konnte man so lange Zeit im Lager Gurs überleben?

"Ich war jung und relativ gesund und kräftig. Wir waren eine Gruppe, die sich sehr solidarisch miteinander verhalten hat." Hoffmann gibt selbst zu, bis 1942 in Frankreich keine politischen Aktivitäten entfaltet zu haben, sondern nur mit dem persönlichen Überleben beschäftigt gewesen zu sein. Tausende Menschen überlebten das Lager Gurs nicht, sie starben an Unterernährungen, Kälte, Hoffnungslosigkeit. In einer dunklen Februarnacht des Jahres 1942 flüchtet der internierte Österreicher. Es folgen zwangsweise Arbeitseinsätze an verschiedenen Orten. Hoffmann, mittlerweile zum Spanier Alejandro Giral Ofman gewandelt, schließt sich dem Maquis an, dem Widerstand gegen die deutsche Besatzung. Er wird in eine Kleinstadt entsendet, um in der dortigen deutschen Kaserne, als Tischler getarnt, "Anti-Nazi-Arbeit" zu betreiben.

Am 25. August wird Paris befreit. Hoffmann sucht in Brüssel nach seiner dort lebenden Mutter - und erfährt, dass sie von den Deutschen festgenommen und auf dem Weg nach Auschwitz verschwunden ist. Nach mehreren Monaten Arbeit bei der US-Armee in Frankreich kehrt er im November 1945 in die Heimatstadt Wien zurück. Wieso eigentlich dieser Schritt? "Die Gruppe österreichischer Spanienkämpfer hat sozusagen eine kollektive Meinung herausgebildet, dass wir alle nach der Befreiung ins eigene Land zurückkehren. Daran hat es keinerlei Zweifel gegeben." 1967 tritt Hoffmann aus persönlichen Gründen aus der KP aus. "Ich habe, wie fast alle anderen, bis 1953 auf Stalin geschworen. Ich war kein begeisterter Stalin-Verehrer, aber ich hätte nie öffentlich gegen die Partei oder gegen Stalin Stellung genommen. Es war eine Zeit, in der der sowjetische Sieg gegen den Nationalsozialismus noch sehr lebendig war, und die Sowjetunion war eben symbolisiert durch den Namen Stalin, ob man wollte oder nicht."

Der Triumph der Sandinisten gegen die Somoza-Diktatur in Nicaragua 1979 erfüllt Gert Hoffmann wieder mit Enthusiasmus. Er besucht mehrmals das neue Land der Verheißung. "Das war eine außerordentlich erfahrungsreiche Zeit für mich. Nicaragua war der Fall, in dem man einer sozialistischen Gesellschaftsordnung am nächsten gekommen ist. Nicaragua hätte ein Vorbild sein können für künftige Entwicklungen. Dass es anders gekommen ist, steht auf einem anderen Blatt, aber das kann man wohl nicht den Nicas anrechnen. Bei solchen massiven Feindseligkeiten, denen die Sandinisten die ganze Zeit über ausgesetzt waren, war es eh fast ein Wunder, dass sie so lange durchgehalten haben."

Welche Schlussfolgerungen zieht man nach einem so langen Leben im Kampf um eine neue, bessere Weltordnung? "Natürlich bin ich enttäuscht. Oder sagen wir: ernüchtert. Ich habe mir, vor allem als junger Mensch, schon vorgestellt, dass die Menschen anders zusammenleben können, als es damals der Fall war. Ich bin aufgewachsen in der großen Krise. Ich habe den Kapitalismus in seiner hässlichsten Form kennengelernt, mit all der Not, die das für die Jugend bedeutet hat. Natürlich hatte ich, mit allen meinen Freunden zusammen, die Hoffnung, dass wir eine sozialistische Gesellschaft errichten können und dass damit auch die menschlichen Probleme zu lösen sind. Dass das anders gekommen ist, ist natürlich eine Enttäuschung. Nach dem Ende der angeblich sozialistischen Länder heißt es neu anfangen, neue Konzepte erarbeiten, neue Wege suchen." Hoffmann lebt heute als politisch engagierter Pensionist in Markt Piesting südlich von Wien. Er ist mit seinen 92 Jahren immer noch unermüdlich dabei, die Erfahrungen eines langen kämpferischen Lebens an die Jüngeren weiterzugeben, hält Vorträge, wird zu Veranstaltungen über den spanischen Bürgerkrieg eingeladen und präsentiert auf Lesungen sein autobiografisches Buch. (Werner Hörtner/DER STANDARD, Printausgabe, 20./21. 3. 2010)