Autor Giancarlo De Cataldo ist Richter in Rom, also in nächster Nähe zu romantauglichen Informationen tätig.

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Wien - Korrupte Polizisten, bestochene Richter, mit Sex und Geld gekaufte Politiker: In Italien ist das Gesetz nicht für alle gleich. Es ist die Verhandlungsgrundlage für ein Spiel der Mächtigen, die sich der Staatsstrukturen gewinnbringend bedienen. Autor Giancarlo De Cataldo geht in seinem nun erschienenen Romanzo Criminale (Folio Verlag) den durch regelmäßige Skandalmeldungen immer skurriler erscheinenden Zuständen der italienischen Politik auf den Grund: Dabei beschreibt er die leiser agierenden Spieler.

Bei De Cataldo gibt es (noch) keinen Berlusconi. Wir haben Ende der 1970er, und die Figuren des packenden, von Karin Fleischanderl präzis übersetzten Buches sind noch von der alten Schule. Nicht so platt wie Berlusconis Typen. Nach dem Vorbild der realen Magliana-Bande beschreibt De Cataldo, der im Hauptberuf Richter ist, Aufstieg und Niedergang einer Bande, die mit Drogen, Prostitution und Glücksspiel Rom regiert und von der Politik instrumentalisiert wird.

Aus dem Nichts schafft eine Gruppe Kleinkrimineller den Sprung in die Liga der großen Player: Ihr Anführer nennt sich Libanese, er verehrt Mussolini, dessen Büste im Wohnzimmer steht, und ist für "Ordnung und Organisation" . Seine Männer heißen Dandi, Freddo, Trentadenari oder Nembo Kid - eine zügellose Bande, die vor ihrer "Eroberung Roms" erst diszipliniert werden muss, dann aber von Mafia und Staat eingesetzt wird.

Auf der anderen Seite bereitet sich der junge, idealistische Polizist Scialoja auf einen jahrzehntelangen Kampf vor. Die andere Seite, das sind nicht die Guten, wie sich herausstellt. Gut und böse sind keine relevanten Kategorien. Auch die Lager Links und Rechts scheinen nur für Journalisten und Zeitungsleser von Bedeutung zu sein. Beide Lager werden als willenlose Schachfiguren auf dem Feld der Politik für ihnen unbekannte Interessen eingespannt.

Zweimal verfilmt

In Italien wurde Romanzo Criminale (2002 bei Einaudi erschienen) bereits 400.000-mal verkauft und zweimal verfilmt: als Spielfilm von Michele Placido (Dienstag, 19 Uhr, im Italienischen Kulturinstitut Wien) sowie als TV-Serie (Sky, 2008). Der Autor, Jahrgang 1956, schrieb bereits zahlreiche Drehbücher. Tatsächlich treten De Cataldos Figuren schon im Roman differenziert und filmisch, zugleich humorvoll charakterisiert auf: etwa Dandi, der zum Kunstsammler wird und in kostbare Bücher investiert, oder die Prostituierte Patrizia, die ein Bordell leitet und sich im Gefängnis mit einer Brigadistin anfreundet. Und nicht zuletzt Scialoja, dessen Ermittlungen ihn auch privat völlig vereinnahmen, dem Achtung, aber nie Sympathie zuteil wird.

In De Cataldos epischem Gesellschaftsroman, der eine lange Ära italienischer Zeitgeschichte durchmisst und erhellt, geht es um die Grauzone zwischen Staat und Antistaat. Er schildert Verbindungen zwischen dem Geheimdienst, Faschisten und der Mafia. 1978 hält der Terror der Roten Brigaden eine Nation in Atem, Aldo Moro wird entführt und ermordet, auch werden Attentate von rechtsextremen Gruppen (Libaneses Bande im Roman) ausgeführt.

Bis heute wird über die Rolle des Geheimdienstes in der "Affaire Moro" , das Zustandekommen der Strategie der Spannung, also des Staatsterrorismus, gerätselt. In seinem Roman, der weit mehr ist als nur ein reißerischer Mafiaroman, füllt De Cataldo mit einer ominösen Stimme aus dem Off, die das Weltgeschehen lenkt, die Lücken in der Geschichtsschreibung: Bei "Il vecchio" (der Alte) laufen die Fäden zusammen, er allein scheint die große Politik zu betreiben, während Politiker nur Attrappen sind, die im Buch auch nicht vorkommen.

Il vecchio wacht über ein System, das an Kafkas "Schloss" erinnert und an dem Polizist Scialoja wiederholt scheitert. Die Gruppe Libaneses aber fügt sich perfekt in das Räderwerk ein, das die Unterwelt zum Eidgenossen des Staates macht. Der Roman beschreibt eine überwältigende Spannungskurve, die zum Untergang führt: Gier und Angst spalten die Bande, bringen das System zum Kollabieren, jeder muss Verantwortung übernehmen, ehe "il vecchio" das Spiel neu beginnen lässt. (Isabella Pohl, DER STANDARD/Printausgabe, 15.03.2010)