Blumen in den Selbstporträts von Paula Modersohn-Becker (hier eines von 1907) verweisen sowohl auf Fruchtbarkeit als auch auf Vergänglichkeit und Tod.

Foto: Kunsthalle Krems

Krems - Zu Lebzeiten haben Familie und Freundeskreis nicht viel von ihrem späten Werk gesehen. Umso erstaunter waren Heinrich Vogeler und Otto Modersohn, als sie nach dem frühen Tod von Paula Modersohn-Becker (1876-1907) ihr umfangreiches und intensives Werk sichteten. 750 Gemälde, 1000 Handzeichnungen und dreizehn Radierungen hat sie in gut zehn Jahren geschaffen: eine künstlerische Einzelgängerin, die sich täglich zurückzog, um von drei bis sieben Uhr abends konzentriert zu arbeiten.

Sofortiger Erfolg wäre ihr beschieden gewesen, davon ist Wolfgang Werner, Vorsitzender der Paula-Modersohn-Becker-Stiftung in Bremen, überzeugt. Bereits bei der ersten Ausstellung ihrer Werke kauften Von der Heydt und Roselius Arbeiten für ihre Sammlungen. Bei den Angriffen 1944 erfuhren diese aber erhebliche Verluste, auch rund 30 Spätwerke Modersohn-Beckers zählten dazu.

Werner ist der "Wächter" über Modersohn-Beckers Œuvre: Hans-Peter Wipplinger kostete es viel Überzeugungskraft, so viele Werke nach Krems zu bringen: Ihm gelang, nach der Schau zum 90. Todestag im Münchner Lenbachhaus, die umfangreichste Modersohn-Becker-Ausstellung. 2004 sei er es als Direktor des Museums Moderner Kunst Passau daran gescheitert; jetzt konnte er mit dem Argument punkten, dass das Werk Modersohn-Beckers - mit Ausnahme einzelner Arbeiten - in Österreich in der Tat noch niemals zu sehen war. Auch dank weiterer Leihgeber ist nun in Krems ein schnörkelloser Überblick über ihr vielfältiges Schaffen, das vor allem im Porträt zu großer Tiefe gelangt, zu sehen.

Die Tochter einer kinderreichen, bürgerlichen und gegenüber Kunst offenen Familie sollte nach dem Wunsch der Eltern eigentlich Lehrerin werden, zog aber niemals ernsthaft in Erwägung, etwas anderes zu tun als zu malen. Ab 1896 besuchte sie die private Kunstakademie in Berlin, denn der Zutritt zu den offiziellen Kunstakademien war ihr - insbesondere wegen des Aktzeichnens! - als Frau verwehrt.

Studium der alten Meister

Aufmerksam studiert sie die alten Meister, reiste 1897 auch nach Wien: Unvergesslich blieben ihr "die wundervollen Farben der noblen Tizian-Porträts und Rubens mit all seiner Pracht" ; schwelgt für Werke von Dürer, Holbein und Cranach. Paris blieb zunächst noch Sehnsuchtsort, erst in der Silvesternacht 1899 brach sie zu einem ersten Studienaufenthalt auf, betrachtete begeistert Arbeiten von Cézanne, Gauguin und Van Gogh. Reifen konnten diese Eindrücke in den Arbeiten, die ab 1898 in der Künstlerkolonie in Worpswerde entstanden, ein Ort im Teufelsmoor, für dessen Einsamkeit sie sich begeisterte und wo sie ihren Mann Otto Modersohn kennenlernte. Dieser schätzte den Austausch mit ihr, war sich aber nicht bewusst, dass sie ihn künstlerisch überflügeln würde.

"Das merkwürdig Wartende, das über duffen Dingen schwebt, das muss ich in seiner großen einfachen Schönheit zu erreichen streben. (...) Das gibt Größe," notierte sie 1903. Ihr Ehemann im gleichen Jahr: "Sie hasst das Konventionelle und fällt nun in den Fehler, alles lieber eckig, hässlich, bizarr, hölzern zu machen. (...) Rat kann man ihr schwer erteilen."

1908 schrieb Rainer Maria Rilke über die geschätzte Freundin: "Und so wie die Früchte sahst du auch die Fraun und sahst die Kinder so, von innen her getrieben in die Formen ihres Daseins." Passendere Worte lassen sich kaum finden. (Anne Katrin Fessler, DER STANDARD/Printausgabe, 13./14.03.2010)