Jerusalem liegt im Wadi Web, wie auch der Rest der Internet-Welt, und wer deren elektronische Datenwüsteneien durchwandert, etwa dem Design-Karawanenweg folgend, ist so mitunter auch ein Opfer des Zufalls. Beispiel Ron Arad, der einstige Blechtrommler der Avantgarde. Als einer der Größen des Gegenwartsdesigns kann dieser sein Underdog-Image ja nur mehr mit Mühe bewahren - wer ihn aber mit jüngerer israelischer Designgeschichte in Verbindung bringen will, blickt zwangsläufig über den Nahen Osten hinaus. Berühmt wurde der in Tel Aviv geborene Absolvent der Jerusalemer Kunstakademie denn auch erst in London, Jahre nach seinem ganz privatem Exodus, und so müsste die Suche nach einem Leithammel des israelischen Designvolkes an sich ohne den Starentwerfer weitergehen.

Liron Salinger, Keramik

Doch Halt! Etwas irritiert plötzlich, wenn im Wadi Web und zur Recherche die Suchbegriffe "Ron Arad+Biography" eingespeist werden - und diese Irritation verweist gleichzeitig auf die Befindlichkeit des lokalen israelischen Designmilieus. Zwei Ron Arads drängen sich nämlich auf dem Arbeitsbildschirm. Der weltberühmte Designer und ein verschollener Namensvetter liefern sich da ein unerwartetes Suchergebnis-Duell. Der Außenseiter: Heißt Captain Ron Arad, ist etwa gleich alt wie unser Titelseiten-Ron und wird seit den 80er-Jahren als Gefangener der libanesisch-schiitischen Amal-Miliz vermisst. So vermeldet es das Internet. Eine Zufallsbegegnung im Wadi Web wie gesagt. Doch zugleich auch eine mit Symbolcharakter, denn die Zwänge des ungelösten Nahostkonflikts lasten unübersehbar auf Israels Designlandschaft. Das beweist auch eine Leistungsschau der Jerusalemer Bezalel-Akademie für Kunst und Design, die seit ihrer Gründung im Jahre 1906 und dem späteren Braindrain diverser aus Deutschland vertriebener Bauhaus-Professoren als wichtigste lokale Institution in Sachen Design gilt.

Maya Dor, "Loslösung"

Dass die Militarisierung des Alltags, die Permanenz von Terrorattacken, Razzien und Straßensperren längst auch die gestalterischen Äußerungen einer neuen israelischen Designergeneration prägt, zählt denn auch zu den markantesten Merkmalen der gegenwärtig im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe gezeigten Schau "Design trotz allem". Klar gibt es auch hier die üblichen Entwurfergüsse der Spaßgesellschaft zu sehen, soll etwa der in Form eines Surfbretts entworfene Surferanzug unmittelbares Wellenreitergefühl am alleröstlichsten Mittelmeer vermitteln. Doch wirklich unter die Haut geht zuletzt anderes, sowohl im Bereich der israelischen Modeavantgarde als auch in den Gefilden des Produktdesigns.

Liat Waldmann, Silbergarnitur "Sonnenuntergang"

Olivfarbene Brautkleider mit Tarnapplikation etwa, die, hergestellt aus jenen gebrauchten Dubon-Militärmänteln, in der unmittelbaren Nachbarschaft als Symbol der Unterdrückung ebenso gefürchtet wie gehasst werden, auf die Vermählung von Zivilgesellschaft und Militär verweisen. "Für mein Design habe ich auf die Bilder aus der mich umgebenden Realität zurückgegriffen: Bilder von Sicherheitskontrollen auf der Straße; Bilder von Gewehren, die auf jeden einzelnen Zivilisten gerichtet sind . . .", schreibt etwa die Designerin Mora Dimmerman über ihre schwarzen, sackähnlichen Ganzkörperkleider, die zum Verstecken auffordern.

Shahar Twito, Gipssessel

Ähnlich radikal reagieren aber auch israelische Produktdesigner auf das sie umgebende Klima der steten Gewalt. Steht die aus transparentem PVC gefertigte Zivilistengasmaske, deren innovative Transparenz auch die Ängste, das Mienenspiel, kurz, die persönliche Identität des Trägers aus dem geharnischten Gummipanzer herkömmlicher Modelle befreit, noch durchaus im Sinne des hilfreichen Designs, so reagiert das Gros der Bezalel-Absolventen mit bitterer Ironie: Gewichte im Handgranaten-Stil beschweren die lokale Korrespondenz, und auch der Begriff "Alarm Clock" liest sich in diesen Breiten fast zwangsläufig im doppelten Sinne - das veranschaulicht ein Wecker von Tomer Sapir, dessen riesiger roter Druckknopf auf Atombombenszenarios einstimmt. Leben in steter Lebensbedrohung. Verbrannte Erde überall. Dass sich das Land auf Dauer auf diese politische Option seiner Führung eingerichtet zu haben scheint, fördern die Cocooning-Utensilien der jungen Designer am markantesten zutage.

Nima Ben Asher, Wecker

Terror und Gegenterror, Lümmeln im Schützengraben: Just wo es heimelig und weich wird, kommt die Härte am schmerzhaftesten zum Vorschein. "Made in Israel" heißen Rory Hoppers knautschige Maschinengewehr- und Dynamitpölsterchen im bunten Patchworklook. An Armeesandsäcke erinnern indessen die gar nicht weichen, aus Säcken gegossenen Gipssessel des Shahar Twito. Doch es gibt auch Chancen für einen vorsichtigen Übergang: Darauf verweisen brüchige Keramik-Brustpanzer der Körperschmuck-Kollektion "Fragile Defence". Sie stellen die eigene Verwundbarkeit an den Neubeginn eines möglichen Lernprozesses. (Der Standard/rondo/Robert Haidinger/11/04/2003)
Ausstellung "Design trotz allem",
im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg,
bis 18. Mai 2003
Infos: mkg-hamburg.de

May Etzion, Wecker