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Die heutige Bescheidenheit ist fast schon wieder zu viel. Seit der Veröffentlichung der ersten Version des menschlichen Erbguts vor gut zwei Jahren seien die Daten zwar "drastisch verbessert" worden, aber eigentlich habe man bereits vorhandene Sequenzierungen des humanen Genoms nur "geputzt" und vervollständigt. Jedenfalls - die Entzifferung der aus rund drei Milliarden Bausteinen zusammengesetzten DNA ist nach 13 Jahren nun endgültig abgeschlossen. Die Montag präsentierten Daten stehen schon im Internet. Kostenlos und für alle.

Wo aber bleibt der mediale Hype? Wo sind die renommierten Wissenschaftsmagazine, die, wie schon im Februar 2001, Seiten über Seiten nichts anderes als A, C, G und T in unterschiedlicher Reihenfolge abdrucken? Die Buchstaben stehen für die Basen Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin, die molekularen Bausteine der DNA. Und wo bleibt, wie seinerzeit, das völlig überzogene Gefasel vom endlich niedergeschriebenen "Buch des Lebens"? Dieses, frohlockte Genomschreiber Craig Venter damals, offenbare einer genetischen Bibel gleich das Geheimnis menschlichen Daseins.

Erste Ernüchterung

Vielleicht ist es um das menschliche Erbgut deshalb ein wenig ruhiger geworden, weil das Gen ein wenig von seinem glänzenden Lack eingebüßt hat. Sei es durch Meldungen, wonach sich ursprünglich als "revolutionierend" betitelte Erfolge der Gentherapie als tödliche Versuchsreihen herausgestellt haben - von ihrem Erbleiden durch Gentherapie befreite Pariser Kinder erkrankten beispielsweise durch diese Behandlungsmethode an Leukämie. Sei es durch den ethischen Diskurs über den Einsatz der Genetik - etwa für Tests an Ungeborenen, deren Ergebnisse gesellschaftliche Selektion befürchten lassen. Oder sei es ob des Verwirrspieles um die Gene selbst.

Ursprünglich auf ungefähr 140.000 Stück geschätzt, wurde diese Zahl nach der ersten Sequenzierung der DNA auf 30.000 gesenkt. Heute glaubt man, dass es wahrscheinlich doch mehr sind. Vielleicht so um die 45.000 Gene. Gibt die Entschlüsselung des Erbguts darauf endlich Antwort?

"Noch nicht", enttäuscht der oberösterreichische Genetiker Markus Hengstschläger. Denn die heute publizierte Sequenz des menschlichen Genoms sei nicht das Ende, sondern "erst der Anfang einer sehr langen Geschichte".

Nun gelte es herauszufinden, erklärt der Leiter des pränatalmedizinisch-genetischen Labors der Wiener Uniklinik für Frauenheilkunde, "wo auf dem Erbgut welches Gen anfängt und und wo es aufhört. Die Genomik sucht nun Satzbeginn und Rufzeichen." Und das könne noch ein bisschen dauern, bisher kenne man maximal ein Drittel aller menschlichen Gene.

Was tun die Gene?

"Und wenn wir endlich einmal so weit sind, müssen wir herausfinden, was denn diese ganzen Gene überhaupt tun." Man wisse zwar, dass sie "für Proteine codieren" - auf gut Deutsch: die Produktion von Eiweißen veranlassen - aber welche und wie viele Proteine von einem Gen bestimmt werden und vor allem was diese Proteine wiederum für eine Aufgabe im Organismus haben, wisse man nicht: Dies sei das Forschungsfeld der "Proteomik", die direkt an die "Genomik" anschließt. Man schätzt, dass es so um die 100.000 Proteine sind.

"Das schwierigste Problem, vor dem wir dann stehen werden", und Hengstschläger weiß nicht, ob dies jemals gelöst werden kann, "ist herauszufinden, welche Interaktionen die einzelnen Proteine eingehen, wie sie untereinander zusammenhängen und wie sie von der Umwelt beeinflusst werden." Erst dann könnte man tatsächlich von einem molekularen Verständnis für das menschliche Leben sprechen. Nach "Genomik" und "Proteomik" fehlt für dieses Forschungsgebiet noch eine passende Bezeichnung.

Demnach scheint auch klar zu sein, warum die nunmehrige Veröffentlichung der DNA-Sequenz relativ ruhig vonstatten ging. "Zu ruhig", meint Hengstschläger, "denn das Datenmaterial ist, wenngleich für die Öffentlichkeit zurzeit ohne direkten Nutzen, für die Wissenschaft sensationell."

Habe er in der Grundlagenforschung bisher etwa einen DNA-Abschnitt eines Patienten untersucht und mit vorhandenen Sequenzen verglichen, habe er nie mit Sicherheit sagen können, ob das Genschnipsel des Patienten verändert und die Krankheit darauf zurückzuführen ist, oder ob der Vergleichsstrang, also das "offizielle Genom" an dieser Stelle schlicht falsch ist. "Jetzt kann man damit arbeiten, jetzt ist es geputzt."

Und dabei spiele es keine Rolle, wenn das Genom denn doch nicht so ganz endgültig entschlüsselt ist. "Ob zu 99,5 oder zu 99,89 Prozent ist egal." Ein paar Bereiche, auf denen aber ganz wenige Gene liegen dürften, lassen sich mit herkömmlichen Sequenzierungstechniken nicht zuverlässig entziffern. Dies wird nachgeholt, sobald es entsprechende Technik gibt. "Wir haben jetzt aber erstmals richtige Hammer und Nägel in der Hand", versinnbildlicht Hengstschläger, "nun muss nur noch ein Haus gebaut werden." (Andreas Feiertag/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15. 4. 2003)