Jetzt dauert es aber wirklich nimmer lang, bis uns der laue Frühling um die Nase weht, wenn wir mit dem schweren Eisen in die Arbeit knattern. Mit dem offenen Helm kannst du, an der Ampel stehend, den Duft der jungen Dame riechen, die gerade über den Zebrastreifen geht. Sie blickt sich, als sie auf der anderen Gehsteig-Seite angekommen ist, noch einmal um und wirft dem schwarzen, mächtigen Bock, auf dem du sitzt, noch einen anerkennenden Blick zu.

Foto: Werk

Wenn die Ampel auf Grün springt, legst du lässig den ersten Gang ein und böllerst los in Richtung Arbeit. Die Kolonne schiebt sich langsam zur nächsten Ampel vor, und während die anderen frustriert die besten Hits der 80er, 90er und von heute anhören müssen, lauschst du dem martialischen Klang des 750er V2-Motors, der zwischen deinen Beinen die Kolben hin- und herschupft, als würde er damit jonglieren.

Foto: Werk

 

Mit deiner Maschine brauchst du dich nicht hinten anzustellen. Du tänzelst zwischen den Autos in der Schlange bis ganz nach vorne und reihst dich dort ein, wo du hingehörst. Auf der Pole. Du bist als Erster von der Kreuzung weg, selbst wenn du ganz gemütlich losfährst. Neben dir knattert noch ein Roller, und er gibt Vollgas, als er sieht, dass die nächste Ampel grün zu blinken anfängt. Doch du hast keinen Stress, musst nicht über die Kreuzung hetzen. Auf deiner neuen Honda VT750 S hast du die Lässigkeit gepachtet.

Foto: Werk

Ist aber auch besser so, denn selbst wenn du einen Rappel kriegst und noch schnell bei Grün drüberpreschen willst, du wirst keine Chance haben, selbst wenn du den Gashahn dreimal im Kreis um den Lenker drehst. Die VT750 S hat nämlich nur 43 PS. Das ist genauso viel, wie Honda schon 1965 aus der CB450 kitzelte, nur dass diese damals um gut 200 Kubik weniger hatte. Mit 62 Newtonmeter muss der Schotter schon sehr lose sein, damit der Hinterpatschen durchreißt. Apropos Hinterrad. Da habe ich was Nettes gefunden. Honda meint: „Der 150 Millimeter breite Hinterradpneu sorgt nicht nur für fette Optik, sondern dazu für sicheren Grip und genügend Abrollkomfort."

Foto: Werk

Na gut, mit 150 Millimeter ist der Gummi eher ein Asphaltbeleidiger als ein breiter Pneu, und die 200 bis 250 bar, die man laut Presseunterlagen einfüllt, dürften auch etwas übertrieben sein. Aber das macht nichts. Mit dem schmalen Reifen ist die VT750 S wendiger als Cruiser, die auf 220er Schlapfen dahereiern. Das passt zur Käuferschicht, die Honda andenkt: Keine Raser, keine Stuntfahrer, sondern „Individualisten und Newcomer, die ein ausgesprochen stilvolles Zweirad bewegen möchten". Und da reichen die 43 PS locker.

Foto: Werk

Den Motor kennen eingefleischte Honda-Cruiser bereits. Mit etwas mehr Leistung und ein bisserl mehr Drehmoment steckt er auch in der Shadow. Die Verdichtung des 52-Grad-V2 liegt bei milden 9,6 : 1. Man kann sich also erwarten, dass die VT750 S immer noch rennt wie ein Glöckerl, wenn das Enkerl dann einmal wird ausfahren wollen - selbst wenn man bis dorthin noch das Original-Öl im Motor und auf der Kette hat.

Foto: Werk

Als Wertanlage sollte man sich die VT750 S trotzdem nicht zulegen. Entweder man mag diese Art von Motorrädern, den Lebensstil, der mitschwingt, wenn man sich hinter den Lenker spannt, oder man hat schlicht viel Zeit - bei allen Cruisern braucht man die beim Fahren, bei manchen braucht man die aber auch beim Nicht-Fahren, sprich reparieren - das wird bei der Honda nicht der Fall sein.

Foto: Werk

Anfällig für Reparaturen sind ja Hondas von Natur aus nicht. Und mit der Trommelbremse hinten, der einzelnen 296er-Bremsscheibe vorne und dem gemütlichen Motor sollten sich auch die Instandhaltungskosten in den nächsten 100 Jahren in bescheidenem Rahmen halten. Und auch der Listenpreis von 7.990 Euro schreckt jetzt niemanden, wenn er um das Geld ein echte Honda bekommt. Da kann man sich locker noch ein paar Lederfransen für die Lenkerenden gönnen. (Guido Gluschitsch)

Foto: Werk