Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: Archiv

Status-Updates in sozialen Netzen wie Facebook und Twitter funktionieren nach dem Schema: eine Antwort auf die Frage "Was machst du gerade?" geben. Natürlich wird das längst variiert, User posten, wie sie gerade lustig sind. Und sehr häufig geben sie Antwort auf eine andere imaginierte Frage: "Was liest du gerade?" Das ist natürlich eine alte, prädigitale Gewohnheit, dass wir lesen, was uns Freunde, Kollegen, Chefs oder professionelle Kritiker empfehlen. Nur dass online die Verbreitung dieser Dinge rasend schnell steigt, weil alles immer nur einen kurzen Link und Mausklick entfernt ist.

Medien stehen vor einer Herausforderung

Online-Medien versuchen diesen Strom für sich zu nutzen, indem die meisten eine ganze Batterie von Knöpfen bei jeder Geschichte haben, mit der man diese schnell in seinem bevorzugten sozialen Netz empfehlen kann. Aber über kurz oder lang haben Medien mit der sozialen Neukonstruktion des Medienmenüs ein großes Problem, oder wie wir heute gerne sagen: Sie stehen damit vor einer Herausforderung, die viel größer ist als die von Google News, auf das Rupert Murdoch & Freunde derzeit bevorzugt losgehen. Wenn Leserinnen und Leser nicht mehr über "ihre Zeitung" zur jeweiligen Geschichte kommen, sondern über die Empfehlung in ihrem sozialen Netzwerk, dann zerfällt das sorgfältig geschnürte Paket der jeweiligen Zeitung in seine Bestandteile, und die sind weniger wert als das Ganze.

Zeitung und CD

Dies musste zuvor bereits schmerzhaft die Musikindustrie mit iTunes erfahren: Sobald Menschen online ihre Lieblingstitel aus CDs herauspicken konnten, gingen CD-Verkäufe den Bach hinunter. Zeitungen sind in der Hinsicht wie CDs, sie verpacken eine Artikelauswahl in eine Ausgabe, wissend, dass Leserin und Leser im Schnitt nur ein Viertel bis ein Drittel konsumieren - ihre oder seine spezifischen Interessen und dazu ein paar sonstige Geschichten, in die man "hineingerät", weil sie gerade neben den Berichten stehen, wegen derer man die Zeitung kaufte oder zu ihrer Site ging. Diese Einheit der Ausgabe geht mit sozialen Empfehlungen verloren.

Es herrscht mediale Promiskuität

Stattdessen herrscht mediale Promiskuität, man liest einmal in diesem, dann in jenem Blatt und womöglich noch auf Blogs. Möglich, dass sich das in Summe alles wieder ausgleicht (die Zahl der Klicks, die ein Medium für sich und seine Werbung reklamiert); wahrscheinlicher aber, dass sich eine bisher mehr oder weniger treue Lesergemeinschaft zerstreut und dass wir lesen, was man gerade im Facebook-(Twitter-, Xing- etc.)Kreis so liest. Möglich, dass Geräte wie Apples iPad diese Tendenz ein wenig einbremsen; denn hier hoffen Verlage wieder auf die Chance, Abos für das Ganze zu verkaufen statt Stückwerk zu verschenken. Wahrscheinlicher aber ist, dass die Loyalität zu den Empfehlungen unserer Bekannten die bisherige Treue zum Medien zumindest teilweise ablöst. Damit aber wären die Zeitungen wieder zurück am Start. Denn wie man einzelne Geschichten statt ganzer Ausgaben verkauft, diese Nuss hat seit Beginn des Internets noch niemand geknackt.(Helmut Spudich/DER STANDARD, Printausgabe vom 11.3.2010)