"Block" und "Burn" ist angesagt: Unzufriedene Studenten (hier beim letzten "Dialog" mit der Ministerin) planen anlässlich des morgigen EU-Treffens eine Großkundgebung.

Foto: Christian Fischer, Der Standard

Bologna ist nicht nur die Stadt mit der ältesten Universität Europas. Es hat 1999 auch dem berüchtigten "Bologna-Prozess" seinen Namen gegeben: ein Etikett, mit dem seither die Kompatibilität des Studiums in ganz Europa betrieben wurde - aber auch die weitere Zerstörung der Universitäten. Zwar hat sich immer wieder ein breiter kontinentaler Widerstand gegen diese "Reformen" formiert; bewirken konnte er freilich wenig.

An der Oberfläche wurde die Einführung des neuen, dreistufigen Systems (Bachelor - Magister - Doktor) mit der Vereinheitlichung und Internationalisierung der Hochschulbildung begründet. Blanker Humbug, denn es gab vor "Bologna" ja nur zwei europäische Staaten, die dieses System bereits hatten: Großbritannien und Irland. Diese hätten genauso gut das kontinentale Zwei-Stufen-System (Magister/Diplom - Doktorat) übernehmen können, wenn es wirklich um Europa gegangen wäre - und das wäre auch einfacher und demokratischer gewesen. In Wahrheit aber war "Bologna" nichts anderes als ein freiwilliger Kniefall vor den kulturimperialistischen Allüren der USA.

Nur Fastfood ...

Damit wollte Europa wohl auch am wachsenden internationalen Bildungs-"Markt" mitnaschen: Vor allem asiatische Länder (und unter ihnen sehr problematische wie China) "exportieren" lieber ihre Studierenden und bezahlen dafür, anstatt dringend nötige Unis (und potenzielle Unruhe-Herde) im eigenen Land zu bauen. Auf diese Weise wurde der Hochschulsektor etwa in Australien zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig - und das, was früher hochtrabend der "Bildungsauftrag des Staates" hieß, zur beliebigen cash&carry-Ware der Globalisierung, die dann eben (amerikanischen) Industriestandards folgen muss.

Der groß angelegte Reformschritt namens "Bologna" wird aber auch in Europa eher nach hinten losgehen, als dass er zu etwas führt. Nach den bösen Erfahrungen des Autors an einer (mittelprächtigen) kanadischen Universität, in Belgien (wo die "Reformen" schon viel früher implementiert wurden) und an einem irischen Top-College hat "Bologna" durchaus das Potenzial zur schmutzigen Bombe, die das ohnehin schwere Standing der Unis noch mehr erschüttert:

  • Das Bachelor-Studium, das laut Konzept mehr "Praxisorientierung" (welche?) vermitteln soll, führt in Wahrheit meist zu einer Verwässerung der Studieninhalte und/oder zu einer klammheimlichen Reduktion der Studiendauer auf Kosten der Qualität. Der Bachelor wird dann einer Art zweiter Matura. In Nordamerika mag das ja durchaus seine Berechtigung haben: Ein katastrophales Mittelschulsystem macht dort Universitäten erforderlich, die den Studierenden erst einmal beibringen, wie man einen Aufsatz verfasst - denn das können sie oft nach 12 Jahren Schule noch nicht wirklich. Und da auch andere Schulfächer wie Weltgeschichte mit hanebüchenen Argumenten ("Eurozentrismus") gestrichen worden sind, müssen die Kiddies auf der Uni lernen, wer/was/wann z. B. Napoleon und der Holocaust sind. Die europäische Alternative müsste hier lauten: die Demontage noch existierender guter Gymnasialsysteme um jeden Preis verhindern!
  • Aus den genannten Gründen ist das Baccalaureat in Nordamerika häufig ein Micky-Maus-Studium geworden, wo mit kaum zu übertreffender Plattheit niemand "überfordert" werden darf. Begreiflicherweise geht das nicht überall - weshalb sich Studienrichtungen für die "Klugen" herauskristallisieren (Naturwissenschaften, Medizin, Technik); den "Dummies" bleiben neben BWL noch die Sprachen und andere geisteswissenschaftliche Fächer; letztere müssen nun freilich ihre Anforderungen weiter drosseln, wollen sie die wenigen Studierenden nicht auch noch gemäß der "Markt"-Logik verlieren. Damit setzt sich eine Qualitätssspirale nach unten in Bewegung, die durch Notengeschenke und andere faule Tricks in Gang gehalten wird, um die "Klienten" (wie die Studis in Nordamerika gerne genannt werden) bei der Stange zu halten und den "body count" (die Studentenzahlen) zu "erfüllen". Alles erlebt in Kanada - demnächst auch in Österreich?
  • Mit dieser Marktfreigabe der Universitätsbildung gibt der Staat die gesellschaftliche Zukunftsplanung aus der Hand. Am neuen Uni-Markt setzen sich erfahrungsgemäß diejenigen Anbieter durch, die bereit sind, für die Studierenden den billigsten Kindergarten mit den schnellsten Diplomen zu veranstalten - und wer sich dagegen wehrt, ist "elitär" und muss sich irgendwann anpassen. Dann darf man von den meisten Bachelors freilich keine Qualität mehr erwarten, sondern Ausbildungen, die auch dem Arbeitsmarkt wenig bringen - der viel beschworene Praxisbezug?

... für den Bildungshunger?

  • Hier kommt ein springender Punkt: Wird das Grundstudium einmal zum notwendigen Matura-Ersatz für die vergebenen Bildungschancen einer heruntergekommenen High School, werden damit das Magister- und Doktoratsstudium aufgewertet. So schlecht das Grundstudium in den USA auch sein mag, so ist doch der Quantensprung bemerkenswert, der aus untergebildeten Bachelors plötzlich Experten mit Doktorat werden lässt.

Nur in dieser Beziehung könnte das kontinentaleuropäische Studiensystem einmal vom amerikanischen (und britischen) lernen. Das Rezept wäre also: nicht ein "Baccalaureat" nach nordamerikanischem Vorbild schaffen, sondern sich an den dortigen Graduate Studies ein Beispiel nehmen - zum Beispiel, was die gezielte und organisierte Betreuung und Förderung von begabten Studierenden betrifft, die man jetzt auf einmal nicht mehr ganz dem Sozialdarwinismus des "Marktes" überlässt.

All dies mag wie das konservative Gejammer eines alternden Profis klingen - ist es aber leider nicht, wie mir Rückfragen immer wieder bestätigen. Der Zug der Zeit ist abgefahren, was die Umsetzung von "Bologna" betrifft. Es ist aber noch nicht zu spät, um die irrwitzigen Nebenwirkungen dieses unzulänglichen Menschengroßversuchs durch intelligente Maßnahmen zu korrigieren. Ansonsten wäre die Kombination aus kollabierender europäischer Massen-Uni und nordamerikanischem Bildungssupermarkt wohl eine ziemlich letale, wie man derzeit schon in einigen Nachbarländern Österreichs sehen kann.

Übrigens: In Irland, einem der Mutterländer des Bachelor, ist man teilweise schon über "Bologna" hinaus, zum Beispiel mit Studiengängen, wo der Magister übersprungen werden darf und eine "fast lane" vom Grundstudium zum PhD führt; immerhin dauert ein Bachelor dort noch vier Jahre. Klingt fast wie eine Rückkehr ins frühere System vor "Bologna". Absurd, isn't it? (DER STANDARD-Printausgabe, 10.3.2010)