Im Internat des Privatgymnasiums des Bregenzer Zisterzienser-Klosters Mehrerau hat es offenbar mehr als nur einen Missbrauchsfall gegeben. Im Jahr 2004 gab es eine Anzeige gegen einen Pater, der sich an zehn Jugendlichen vergangen haben soll. Das Verfahren wurde aber wegen Verjährung eingestellt, berichtete ORF Radio Vorarlberg unter Berufung auf Heinz Rusch, den Sprecher der Staatsanwaltschaft Feldkirch.

Der Leiter des Klosters Mehrerau, Abt Anselm van der Linde, hatte in der Dienstag-Ausgabe der "Vorarlberger Nachrichten" einen Missbrauchsfall in den 1980er-Jahren eingeräumt. Das Bekanntwerden dieses Falls in der Öffentlichkeit führte offenbar dazu, dass am Dienstag weitere Missbrauchs-Opfer in Kontakt mit den Vorarlberger Medien traten. Durch einen anonymen Anrufer wurden Vorwürfe gegen einen Pater laut, der in den 1970er-Jahren zehn Heranwachsende im Alter zwischen 13 und 15 Jahren missbraucht haben soll. Die Übergriffe hätten bis ins Jahr 1982 angedauert. Die entsprechende Anzeige wurde allerdings erst 2004 eingebracht.

Rusch bestätigte, dass es 2004 eine Anzeige gegen einen Pater des Zisterzienser-Klosters Mehrerau gegeben hat. Es sei darin um mehrere Vorfälle gegangen, die allesamt strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität der Opfer darstellten, wurde Rusch im Rundfunk wiedergegeben. Wegen Verjährung sei das Verfahren aber eingestellt worden. Die Verantwortlichen des Klosters Mehrerau waren vorerst für eine Stellungnahme erreichbar.

Keine Anzeige

"Wir hatten einen Fall", räumte Abt Anselm van der Linde im Interview mit den "Vorarlberger Nachrichten" (Dienstag-Ausgabe) ein. Der Pater habe den Missbrauch gestanden und sei anschließend nach Tirol versetzt worden. Eine Anzeige habe es nicht gegeben, erklärte Van der Linde, der die Leitung des Klosters erst vor einem Jahr übernommen hat.

Der Vater des Jugendlichen habe damals auf eine Anzeige verzichten wollen, sofern der Pater sofort aus der Schule abgezogen wird, so Van der Linde. Die Mehrerau habe den heute 74-Jährigen daraufhin sofort nach Tirol versetzt und den Tiroler Bischof informiert, sagte Van der Linde. Der Pater habe eine Therapie absolviert und wirke heute noch als Priester in Tirol, so der Abt.

2001 sei ein weiterer Pater des Klosters in einen Missbrauchsfall involviert gewesen, allerdings nicht im Internat. "Der Mann hat in Innsbruck studiert und ohne Erlaubnis des Abtes Nachhilfe erteilt", erklärte Van der Linde. Dieser Pater habe sich dann irgendwann einen Burschen aus dem Drogenmilieu geholt und missbraucht. "Mein Vorgänger Abt Kassian hat ihn sofort suspendiert. Der Pater ist gerichtlich verurteilt worden", betonte der Abt. Der Mann sei uneinsichtig und lehne eine Therapie ab. "Ihn können wir niemals wieder einsetzen", so Van der Linde.

"Wer schlägt, der geht"

Der Leiter des Internats, Regens Dominikus Matt, räumte ein, dass es in der Vergangenheit auch vereinzelt gewaltsame Übergriffe auf Schüler gegeben habe. "Das kann ich bestätigen. Allerdings ist das schon lange her", sagte Matt. Seit Mitte der 1980er-Jahre sei das kein Thema mehr: "Der damalige Internatsleiter gab ganz klar die Parole aus: Wer schlägt, der geht", so Matt.

Nach dem Umgang der katholischen Kirche mit der Sexualität befragt, sagte Van der Linde, dass die Kirche "nicht länger so verkrampft" mit diesem Thema umgehen dürfe. Die Kirche müsse die Sexualität offener und menschenwürdiger behandeln. Bezogen auf Privatgymnasium und Internat kündigte Van der Linde die Ausarbeitung eines Verhaltenscodex' gemeinsam mit den Schülern und den Eltern an. "Damit Schüler und Lehrer erkennen, wo Grenzen überschritten werden. Beide müssen sich schützen", sagte Van der Linde. Zudem werde man für Schüler, die sich jemandem anvertrauen wollen, eine unabhängige Stelle einrichten.

Abt entschuldigt sich bei Opfern

Der Abt des Bregenzer Zisterzienserklosters Mehrerau, Anselm van der Linde, hat sich am Dienstagabend bei den Missbrauchs-Opfern entschuldigt. Er habe erst heute erfahren, dass der Pater, der in den 1980er-Jahren wegen Missbrauchs suspendiert und von der Schule entfernt worden war, für weitere Missbrauchsfälle verantwortlich war.

Ihm sei die Tragweite des Falls nicht bekannt gewesen, so der Abt, der erst seit 2009 im Amt ist. "Ich möchte mich jedoch bei allen Opfern im Namen des Klosters Mehrerau entschuldigen und um Vergebung bitten", so der Geistliche in einer Aussendung. Die Opfer hätten trotz der strafrechtlichen Verjährung ein Recht auf eine Entschuldigung. Er sei über die Entwicklung "tief betroffen". "Ich musste aber damit rechnen, dass meine Offensive zum Thema Missbrauch weitere Fälle ans Licht bringt. Und ich bin dankbar dafür, dass wir dieses dunkle Kapitel aufarbeiten können", hielt der Abt fest. Er hatte in der Dienstag-Ausgabe der "Vorarlberger Nachrichten" einen Missbrauchsfall in den 1980er-Jahren eingeräumt.

Offenes Gespräch

Er stehe jederzeit für ein offenes Gespräch mit Opfern zur Verfügung, betonte der Geistliche. Er sei bereit, die Bürde dieser Vergangenheit zu tragen. Die Kirche müsse sich dem Thema Sexualität stellen und "alles unternehmen, um junge Menschen zu schützen". Gegen das Unrecht der Vergangenheit könne er nichts mehr unternehmen. "Es steht nur in meiner Macht, ein neues Klima des Vertrauens zu schaffen", erklärte er.

Der Feldkircher Diözesanbischof Elmar Fischer versprach einen sorgsamen Umgang mit dem Thema. Er selbst habe "nie Kenntnis gehabt von diesen Vorgangsweisen", erklärte er gegenüber dem ORF Vorarlberg. Er verwies in dem Zusammenhang darauf, dass das Kloster Mehrerau als Territorialabtei eigenständig und eigenverantwortlich ist. "Ich habe mich auch nie in dieser Weise gekümmert, was da gelaufen ist oder was vorgekommen sein soll", so der Bischof. Die Vorgaben der Bischofskonferenz sollen bis zum Sommer umgesetzt sein. (APA)