Über der Baumgrenze haben Hausstaubmilben nichts zu melden.

allergiealpin.info

Das Tier hat Charisma: Dem Humoristen Max Goldt geht es weder aus dem Kopf noch aus dem Polster, Wissenschafter werden in ihren Artikeln über das gräuliche Haustier immer wieder zu liebevollen Scherzen animiert, und die verschiedenen Szenen aus dem Leben eines solchen Spinnentieres sind filmreif: Tapfer klammern sie sich mit ihren sechs Beinen an ihre Textilfaser, wenn der Staubsauger kommt, hilflos flutschen ihre Feinde, die Raubmilben, vorbei, weil die mit ihren Fresszangen weniger Klammerkraft haben.

Weltweit rund 80 bis 100 Millionen Betroffene werden von den Hausstaubmilben zum Weinen, Kratzen und Husten gebracht. In Österreich haben etwa 350.000 Hausstaubmilben- und Schimmelpilzallergiker (die ebenfalls auf Hausstaub reagieren) unter dieser Überreaktion ihres Immunsystems zu leiden.

Da hilft nur die Flucht

Denn Hausstaubmilben lassen sich weder gänzlich wegwischen noch wegwaschen oder wegsaugen. Selbst wenn Sie keine Wohntextilien, Fußbodenritzen, Pflanzen oder Naturfaserkleidung mehr besitzen - die Milbe erwischt Sie doch, importiert auf Besucherkleidung oder auf Einkäufen, transportiert im Auto und auf den Haaren. Ein Test in Amerika, bei dem einige eingefärbte Milben auf der Wohnzimmercouch eines Einfamilienhauses ausgesetzt wurden, brachte nach wenigen Wochen die roten Milben sogar im letzten Winkel des Hauses und im Auto zum Vorschein.

Da sie auch Temperaturen von minus 25 bis zu plus 60 Grad Celsius für einige Stunden aushalten, helfen nur Chemikalien (es gibt neuerdings Sprays und Schaumsprüher), die aber auch nicht alle Hausstaubmilben erreichen können: Nach spätestens einem halben Jahr haben sich die madigen Milben wieder voll eingenistet. Aber es gibt doch etwas, das sie fürchten. Trockene Luft. Doch wer will schon in die Wüste ziehen, wenn er nicht in einem Ganzkörperkondom sein Leben verbringen will?

Absolute Milben- und Schimmelpilzfreiheit

Vor bereits 20 Jahren hatten zwei Wissenschafter aus Innsbruck eine Idee. Sie hatten entdeckt, dass das Hochgebirgsklima ab einer Seehöhe von 1500 Metern eine absolute Milben- und Schimmelpilzfreiheit garantiert. Und auch noch eine wesentlich geringere Pollenbelastung - ein Sechstel der Pollenkonzentration von Tallagen: Der Lungenfacharzt Alexander Frank und der Botaniker Sigmar Bortenschlager, beide aus Innsbruck, konnten nachweisen, dass man in Hochlagen praktisch von Allergenfreiheit sprechen kann. Das erzählten sie Tourismusverantwortlichen in Tirol. Doch damals hatte man Derartiges noch nicht nötig und so erklärte man den zwei Herren: "Wir brauchen keine Kranken in Tirol."

Jetzt hat man es endlich doch nötig. Vor eineinhalb Jahren wurde der Verein "Allergie Alpin - Erholung in den Bergen" gegründet, dem derzeit 24 Betriebe, von der Privatpension bis zum Viersternehotel in Kärnten, Tirol, Osttirol, Vorarlberg und der Steiermark angehören.

Sie wurden alle vom Innsbrucker Universitätsinstitut für Mikrobiologie auf Allergiefreiheit getestet und müssen bestimmte Anforderungen erfüllen, die gemeinsam mit dem Deutschen Allergie-und Asthmabund, mit Fachärzten und vielen weiteren Institutionen erarbeitet wurden: Lage über 1500 Meter, entsprechende Einrichtung und Ausbildung der Unternehmer und Mitarbeiter, wozu auch psychologisches Verständnis für überempfindliche Gäste gehört, die selbst dieser milbensicheren Höhenlage nicht trauen und immer noch Grauslichkeiten im Bett oder im Boden vermuten: Ihnen werden, obwohl unnötig, gerne Encasings (spezielle Matratzenüberzüge) zu Verfügung gestellt, und der Boden wird zweimal jährlich gegen Milben behandelt. In diesen Hotels und Pensionen können auch Nahrungsmittel-, Pollen-, Tierhaarallergiker und Neurodermitisbetroffene eine Auszeit von ihrem Leiden finden und einen gewissen "Polster" für den normalen Lebensraum mitnehmen. Das Immunsystem bleibt nämlich auch zu Hause noch längere Zeit beruhigt. (Der Standard/rondo/11/04/2003)