Als "Castor und Pollux", die Söhne des Zeus, hebt das französische Duo François Chaignaud und Cecilia Bengolea ab in galaktische Sphären. Referenzen auf kultische Tänze der Frühzeit sind dabei nicht ausgeschlossen.

Foto: Imagetanz

Ein Ereignis zwischen Ideologiekritik und dem Verlust der Schwerkraft.

Schluss mit kalt! Im Wiener Brut fängt der Frühling schon früher an - mit dem Festival Imagetanz für zeitgenössische Choreografie, herzerwärmende Performance und heiße Partys. Vom 5. bis zum 19. März zeigen vorwiegend junge Künstler im Künstlerhaus, Konzerthaus und in der Brutstätte Zieglergasse 25, was progressiver Gegenwartstanz ist.

Die Französin Alix Eynaudi hat sich vor einigen Jahren aus dem sicheren Hafen der institutionalisierten Rosas unter Anne Teresa De Keersmaeker verabschiedet. Sie arbeitete lieber mit Superamas, Alice Chauchat und Anne Juren, stellte mit dem erfolgreichen Stück Supernaturel ein eigenes Solo vor - und traf dann Agata Maszkiewicz.

Diese hatte unter Esther Linley an der Linzer Bruckner-Uni studiert und landete ebenfalls bei Superamas. In ihrem Debütsolo Polska nahm sie mit schwärzestem Humor Mediengeilheit und Herrenwitze aufs Korn.

Allegorie auf Kapitalismus

Zusammen zeigen die beiden jetzt long long short long short, eine "mit Liebe gemachte" Performance als "fehlinterpretiertes Duett mit zwei Tanzreporterinnen" für "Psycho-Einhörnchen". Und das am Eröffnungsabend, nachdem der Belgier Kris Verdonck mit Dancer #2 einen Motor gestartet und das Publikum die Dünste eines Boxenstopps geatmet hat, wie ihn die Umweltpolitik nach Kopenhagen einlegen muss. Das Metallherz der maskulin sein sollenden Potenzkarosserie röhrt und giftet als Allegorie auf den Planetenkiller Kapitalismus.

Verdoncks Tänzer erinnert an den Maschinenmenschen, wie ihn das frühe 20. Jahrhundert geträumt hat, und der heute die Körperideologie des Neoliberalismus bestimmt. Er ist eine Hamletmaschine mit abmontierten Extremitäten (Heiner Müller: "Arme zu greifen, Beine zu gehn"), eine politische Konzeption und posthumane Geste.

Der junge Wiener Choreograf Alexander Gottfarb führt die Geste des Politischen auf den Körper zurück: In Political Movements, Part 2 untersucht er, der bei Chris Harings Posing Project als ungewöhnlicher Tänzer aufgefallen ist, wie sich Ideologien in den Körper einschreiben. Dafür hat Gottfarb filmisches und fotografisches Dokumentarmaterial als Quelle genutzt. Die politische Bewegung ist als Bezeichnung für Organisationsformen und Mobilisierungstechnik von links und rechts her gleichermaßen besetzt. Auch als Geste des Körpers ist sie Teil jeder realpolitischen Performance.

In jedem Fall ist die politische Geste eine Übersetzungsleistung vom ideologischen Willen zum Akt der Kommunikation und der Instrumentalisierung. Analog dazu richtet die in Ljubljana und Wien lebende Oberösterreicherin Martina Ruhsam einen ]Score[ aus, in dem sie den Akt der Übersetzung verschiedenen Probeläufen unterzieht.

Kunst der Übersetzung

Vordergründig konzentriert sie sich auf die Übersetzung von Schrift in Bewegung und vice versa, und dabei auf die Besessenheit von Partituren und Scores. Damit zielt sie indirekt aber auch auf den Kommunikationsalltag, in dem ohne Übersetzungsleistungen nichts läuft. Schon gar nicht in der Kunst selbst, die ein riesiges Untersuchungsfeld für Übersetzungen von Bedeutungen in Zeichen und umgekehrt bietet.

François Chaignaud und Cecilia Bengolea, die im Vorjahr bei Image- und bei Impulstanz gastierten, nutzen die Möglichkeiten dieser Übersetzungen auf ihre Art. Mit Castor und Pollux begeben sie sich in die höheren Sphären unbedingter Freundschaft, überwinden die griechische Schwerkraft und heben ab in ein mystisch-esoterisches Universum. Halleluja! (Helmut Ploebst / DER STANDARD, Printausgabe, 5.3.2010)