Angela Ascher, Johannes Zeiler, Thiemo Strutzenberger, Marion Reiser

Foto: Schauspielhaus

Wien - Das Schauspielhaus, das große Themenkomplexe auf handliches Serienformat herunterzubrechen pflegt, lädt auf seiner Studiobühne zum Moralgespräch: Nach Sigmund Freud und "Strudelhofstiege" werden jetzt Moses' Gesetzestafeln einer Neulektüre unterzogen. Zehn Dramatiker beiderlei Geschlechts haben aus dem gut gemischten Kartenpäckchen jeweils ein einzelnes Gebot herausgezogen.

Autorin Kathrin Röggla, erprobte Sängerin der Wirtschaftskriege unserer Tage, sah sich mit einem monotheistischen Mäßigungsauftrag konfrontiert: "Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen". Dabei ist nicht ohne weiteres klar, welchem Gott ihr Dramolett "II. Machthaber" huldigt: Das Geld, dieser Popanz unserer Tage, wird in Rögglas vollendet künstlichen Dialogen zwar nicht ausgespart, aber doch eher in verbale Währungsmittel umgetauscht.

Die großen Beweger zahlen einander ihr Versagen in kleiner Münze heim. Wirtschaftsführer, die egalitär "er" und "sie", "der andere" und "die andere" heißen, umkreisen in künstlichen Satzperioden das Phantom der Krise. Jede Idee von Urheberschaft scheint aus den Niederungen des Krisenmanagements verbannt. Spitzenchargen, die miteinander in der indirekten Rede verkehren, schlagen sich mit Gerüchten über ihr Versagen herum, als wären es Handlungsanweisungen.

Ein bedrückend ungreifbarer Text taugt allemal zum starken Stück: Regisseurin Daniela Kranz steckt ihre vier Bürolandschaftsbewohner in üppige Rokoko-Kostüme. Nach der Reihe werden Typenmasken des spekulativen Kapitalismus beschwatzt: der Investmentbanker, der Unternehmer, der Politiker, der Notenbankchef. Als Gegenstände des Hörensagens ertragen sie Sticheleien einer entsolidarisierten Gesellschaft von Leistungsträgern, die einander umso heftiger bekriegen, je mehr sie einander gleichen. Bühnenbildner Michael Zerz' Klein-Versailles ist ein wunderbarer Ort der obszönen Verwandlung. Man meint, die Seide auf dem Laufsteg der Eitelkeiten knistern zu hören

Metaphern wie der "Köpfung" erfolgloser Banker wird ihr voller Nennwert zurückerstattet: Den Figuren des Ancien Régime (Thiemo Strutzenberger als "er") droht physische Vernichtung - eine leidtragende Marquise (Angela Ascher) bricht sogar in Rezitativgesang aus. Kranz' Verfremdungsidee hebt 50 famose Theaterminuten im Nu über jede anbiedernde Bebilderungsabsicht hinaus: Der Gott der Aufführung ist eine wohltönende Stimme aus dem Off (Florentin Groll).

Ein kluger Theateressay, der sich der Zeiten erinnert, als sich das Allerhöchste für seine Verkörperung auf Erden noch der Charaktermaske eines Sonnenkönigs bedienen konnte. (Ronald Pohl / DER STANDARD, Printausgabe, 5.3.2010)