Scheinbar ein Bild von 1830, als die Zerfleischung noch Sache von Exoten war: "Royal Menagerie at the Tower of London" (2009), Aquarell, Gouache, Bleistift und Tinte auf Papier.

Foto: Walton Ford

In den Weiten Amerikas ist der König der Tiere nicht der Löwe, sondern der Bison. Früher einmal gehörte ihm die Prärie fast allein, nur mit den Indianern musste er sich das Land teilen. Dann kam der weiße Mann, mit ihm das Schießgewehr, und es dauerte nur wenige Jahre, bis der Bison zu den bedrohten Arten gehörte. Eine alternative Version dieser Geschichte gibt es von dem amerikanischen Maler Walton Ford: Bei ihm fällt der Bison nicht den Menschen zum Opfer, er fällt unter ein Rudel Wölfe, die ihm das Gemächt abbeißen und ihn mit blutigen Mäulern umkreisen.

Das Bild heißt Le Jardin, es bildet nun den Höhepunkt und Abschluss der Ausstellung Bestiarium im Hamburger Bahnhof in Berlin, die sich schon nach kurzer Zeit als Publikums- und Kritikererfolg erwiesen hat. Der Bison steht bei Walton Ford nicht in der Prärie, sondern in einem Park mit antikischen Säulen. Die Wildheit der Szene spricht der Kultiviertheit der Landschaft Hohn, aber der übermächtige Eindruck ist der von Gewalt und gigantischer Ohnmacht.

Das monumentale Format und die Hängung als Triptychon sorgen dafür, dass alte Traditionen der Malerei aufgerufen werden - der wankende Bison ist ebenso Passions- wie Historienbild, mythische Szene wie eine ins Grauen gekippte Schäferidylle. Wie in allen anderen Tierbildern von Walton Ford auch ist alles darauf angelegt, den Eindruck eines alten Bildes zu erzeugen.

Tiere und der Suizid

Der Schwung der Bildlegenden entstammt dem Zeitalter, als mit der Feder geschrieben wurde, die Motive verweisen auf die Zeit, als das realistisches Malen auf exotische Kreaturen stieß, die beigestellten Texte entstammen zum größeren Teil dem Zeitalter der Entdecker. Doch Walton Ford ist ein zeitgenössischer Maler, der sich in einem alten Genre übt - und es markant verfremdet.

Vor allem die Affen haben es ihm angetan als Kreaturen, in denen der Mensch sich zunehmend wie in einem Spiegel erblicken wollte - haben sie nun Bewusstsein, die Paviane, Gorillas, Schimpansen, denen Ford Gesten unterstellt, die auf Melancholie und Resignation verweisen, vor allem aber auf die Freiheit, die im Freitod sich zu erkennen gibt?

Tiere kennen keinen Suizid wie die Menschen, doch im Bestiarium herrscht ein großes Zerfleischen, in der Tierwelt hört das Massaker nie auf, und Ford lässt es an Blut nicht mangeln. Ebenso interessant wie diese Betonung des bestialischen Animalischen (oder umgekehrt) sind die Spuren von Kultur, die Ford legt - das große Fressen findet bei ihm nicht ohne Tischsitten statt, hinterher sind trotzdem alle platt.

Ausdrücklich bezieht sich Walton Ford, geboren 1960 inLarchmont im Staate New York, immer wieder auf John James Audubon, der im 19. Jahrhundert zum Beispiel die "Birds of America" gemalt und gezeichnet hat, schon er ein halber Mythologe.

Die Ausstellung Bestiarium besetzt nun eine markante Position in der Kulturgeschichte der Gegenwart: Mit einem Bein ist sie noch in der Postmoderne verwurzelt, die Imitate liebte und im Pastiche ihre bevorzugte Form fand, mit dem anderen Bein steht das Bestiarium aber in einer nächsten, nämlich unserer Epoche, in der die Grenzen des Humanen wieder durchlässiger werden hin auf eine Bestialität, die sich nur in dieser Ausstellung zu wahrlich imposanter Größe steigert. (Bert Rebhandl aus Berlin/DER STANDARD, Printausgabe, 3. 3. 2010)