Aliosha Biz, ein musikalischer Weltreisender

Foto: D. Lipkovich

Wien - Die Großmutter hat Wien 1938 in letzter Minute ostwärts verlassen, die Sorge um das eigene Leben war das am schwersten wiegende Gepäckstück. Der Enkel kam 1989 in dieselbe Stadt zurück, mit dem Verlangen nach Freiheit, Offenheit und künstlerischer Selbstverwirklichung - und seiner Geige unter dem Arm. Aus Moskau kommend, verbrachte er seine ersten Nächte im Warteraum des Südbahnhofs; am zweiten Tag wurde ihm, auf der Kärntner Straße musizierend, von einem Unbekannten Logis und Engagement angetragen: "Wien empfing mich mit offenen Armen" , erzählt Aliosha Biz.

Und mit offenem Geist und offenem Herzen widmete sich der ehemalige Student des Tschaikowski-Konservatoriums in den nächsten Jahren so ziemlich allem, was die Welt ihm an musikalischen Stilrichtungen offerierte: Chanson, Klezmer-Musik, Wienerlied, Jazz, griechische, brasilianische, tunesische Musik.

Zurzeit steckt der Weltreisende gerade in den Proben für das Turrini/Hassler-Stück Jedem das Seine, das Ende März im Theater an der Josefstadt Premiere hat. "Nur ja nichts mit Schauspiel" sollte der kleine Aliosha machen, hofften seine Eltern (beide in der Filmbranche) und schenkten dem Fünfjährigen eine Geige. Ja, und seit gut einem Jahrzehnt ist Biz als schauspielender Geiger auf deutschsprachigen Bühnen eine fixe Größe.

Dietmar Pflegerl besetzte ihn 1996 am Klagenfurter Stadttheater erstmals in dieser Doppelrolle: Biz stellte den Fiddler on the Roof so überzeugend dar, dass er noch für fünf weitere Anatevka-Produktionen engagiert werden sollte: "Das Stück wurde quasi für mich geschrieben, noch vor meiner Geburt."

Bei der Anatevka am Theater an der Wien lernte Biz, mittlerweile zweifacher Familienvater, den polnischen Akkordeonisten Krzysztof Dobrek kennen. Und ein paar Jahre später, im März 2000, wurde Dobrek Bistro aus der Taufe gehoben. Gemeinsam mit dem brasilianischen Multiperkussionisten Luis Ribeiro und dem Wiener Jazzkontrabassisten Sascha Lackner werden seitdem die Welt und ihre Musiken, ihre Tänze und Gefühle auf vielfältigste Art und Weise amalgamiert.

Abseits der generalelektrifizierten Entertainment-Großkontinente Pop und Rock, und jenseits des mitunter miesepetrigen Museumsquartiers des Klassikbetriebs liegt Dobrek Bistro wie eine kleine, menschenfreundliche Insel, auf der etwas unerhört Schönes, selten Gewordenes gemacht wird: einfach nur Musik.

"Musik ist meine Religion" ,sag Biz, er sei "vollkommen unreligiös" aufgewachsen; das Jüdische erlebte er zuhause lediglich "im Witzemachen und im Jammern" . Aufeinander zugehen ist sein gelebtes Credo. Die Großmutter ist übrigens mit 72 Jahren nach Wien zurückgezogen, erzählt Biz am Ende, und lebt nun schon seit zehn Jahren wieder hier. Ohne Hass, mit offenem Geist und offenem Herzen. Das muss dann wohl in der Familie liegen. (Stefan Ender/DER STANDARD, Printausgabe, 3. 3. 2010)