Wir schreiben das Jahr 2035. Zu meiner späten Pensionierung per Jahreswechsel hab' ich mir von der staatlichen Prämie was Feines gegönnt, die neue Mercedes-F-Klasse. "F" wie Futurum exactum, glaub' ich, weil die Zukunft genau so oder ähnlich aussehen könnte. Alte Herren und Mercedes? Spart euch den Hohn, ich will keine dummen Sprüche hören, oder ich schalte sofort den Online-Hörapparat aus, der zugleich meine Vitalfunktionen überwacht.

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Obwohl, zugestanden: Das Design meines F 800 wirkt etwas altbacken. Die vielen Sicken, Kanten, Schwünge, das ganze Konvex-konkav- und Muskel-Spiel mag in den frühen 2020ern aufregend, modern gewesen sein, heute würde man Blech und Auge nicht mehr so quälen, setzt man auf klassisch-ruhige Formen, es gibt genug Hektik in der Welt. Sagte ich Blech? Althergebrachte Redensart. Mein Benz besteht selbstverständlich aus einer exquisiten Leichtbau-Melange. Selbst die Sitze bestehen aus einer Magnesiumschale und einer Rückenlehne aus Kohlefaserlaminat, nur die Sitzschale ist mit Echtholz furniert.

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Beim Antrieb bin ich avantgardemäßig unterwegs. Plug-in-Hybrid hätte man empfohlen - nicht mit mir! Ich schlepp' doch nicht unnötige Massen herum - wo ich mein Leben lang um einen schlanken Auftritt bemüht war - und tanke Biosprit oder, noch schlimmer, Treibstoff aus Erdöl. Nein, meine Entscheidung stand längst fest: Brennstoffzelle und Elektromotor; dessen 136 PS reichen für mich völlig aus, 180 km/h könnte ich damit, darf aber längst nicht mehr fahren, und 11,0 sec für 0-100 km/h: In meinem Alter geht man's gern ein wenig gemütlicher an.

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Die Kinderkrankheiten der Brennstoffzelle sind nun doch endlich bereinigt, Hitze und Kälte machen ihr nix mehr aus, und, ja: Kälte (nicht nur soziale) haben wir in Österreich immer noch, zu meinem Leidwesen - die Klimaschockierer haben Anfang des 20. Jahrhunderts ganz schön übertrieben.

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Wo war ich? Ach ja, Antrieb. Wie mir der charismatische Konzern-Technikchef Gregor M. Waidacher, der seine beeindruckende Karriere 2007 als Mercedes-Österreich-Sprecher begonnen hatte, bestätigt, bin ich damit Mitglied eines elitären Clubs: Erst ein paar Prozent aller Sternfahrer seien so fortschrittlich unterwegs. Ich persönlich mag ferner das Gefühl, nicht von Biospritkonzernen oder irgendwelchen sinistren Arabern abhängig zu sein, dies Kapitel hat wahrlich lange genug gedauert.

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Nein, ich tank' Wasserstoff, und zwar nicht solchen, der mit französischen Atommeilern generiert wurde, sondern aus heimischer Wasserkraft, Wind-, Sonnen- und Thermalenergie, wie mir der Energielieferant meines Vertrauens versichert. Verbrauch? Die 0,9 kg / 100 km hätten 2010 etwa 3,0 Liter Diesel auf 100 km entsprochen.
Was die Passagiere in der zweiten Reihe besonders mögen, sind die praktischen Schwenkschiebetüren - nach dem Heurigenbesuch schwankt sich's so besonders fein heraus.

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Was mir selbst besonders gefällt (und meine finale Lebensabschnittsbeobachterin stets in Rage bringt), ist, freihändig zu fahren: Bis 40 km/h hängt sich der Staufolgefahrassistent ans Fahrzeug vor mir, auch in Kurven. Mein Auto bremst also nicht nur selbst und beugt so möglichen Unfällen vor, es lenkt auch noch selbst (manchmal habe ich den Verdacht, es denkt sogar selbst). Fies finde ich indes, dass die Polizei die Kommunikationsbereitschaft meines Autos missbraucht und gnadenlos elektronisch abkassiert, wenn ich mal auf der Autobahn statt mit 130 km/h mit 140 rase. Aber so sind sie halt, die modernen Zeiten, 2035.

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Nicht Schwank, sondern Schwenk: Schwenkschiebetüren hinten sollen das Einsteigen der Fondpassagiere dramatisch erleichtern. Fehlende B-Säulen? Statisch kein Problem. Hier wird also das Rad neu erfunden: das Lenkrad. Zudem viele spannende Ideen im Interieur. Manche davon finden, wie stets bei „F"-Autos, bestimmt wieder Einzug in die Serie.

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LED-Lichttechnologie wird künftig gestalterisch einiges ermöglichen. Mercedes denkt im F 800 unter anderem ein Lichtband unterm Stern an. Rotverschiebung oder so. (Andreas Stockinger/DER STANDARD/Automobil/26.2.2010)

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