Wien - In Concepción habe ich mein erstes größeres Erdbeben erlebt. Es war Ende November 2005 an einem frühen Morgen. Ich war noch auf meinem Zimmer im Holiday-Inn-Hotel in der Avenida San Andrés. Das ganze Zimmer zitterte, am lautesten machte sich der Kleiderkasten bemerkbar, er schlingerte hin und her, klatschte gegen die Wand. Aufgrund von Erdbebenerfahrungen in El Salvador wusste ich: rasch unter einem Türstock Schutz suchen. Nach einigen Sekunden war es vorbei.

Mein chilenischer Kollege, der ebenfalls wegen eines Auftritts der damaligen sozialistischen Präsidentschaftskandidatin Michelle Bachelet in diese rund 500 Kilometer von Santiago entfernte Stadt gekommen war, beruhigte mich: Im Monat gebe es rund 3000 Erdstöße in Chile, genau hier schieben sich die Platten übereinander. Das sei normal. Zudem seien die Häuser in Chile "seismisch" gebaut, also kein Grund zur Beunruhigung.

Keine Headlines

Draußen auf der Straße ging das Leben ganz normal weiter. An einigen Häusern, auch am Hotelgebäude, war der Putz abgebröckelt, aber zunächst waren keine größeren Schäden sichtbar. Am nächsten Tag stand in der Lokalzeitung, dass das Beben eine Stärke von 5,3 nach der Richterskala hatte. In Europa hätte dies Sondersendungen im Fernsehen zur Folge gehabt, in Chile schaffte es diese Nachricht nicht einmal in die Schlagzeilen der TV-Anstalt TVN.

Dieses Beben ging auch wie viele andere nicht in die Stadtgeschichte ein. Die Stadt wurde 1754 sogar verlegt, weil sie zuvor ein Erdbeben völlig zerstört hatte. Das bisher schlimmste mit einer Stärke von 8,5 fand am 20. Februar 1835 statt.

In der Stadt sind stets viele Landarbeiter unterwegs, denn Concepción liegt inmitten einer fruchtbaren Gegend. Viele von ihnen sind Nachfahren der Mapuche, der Indígenas in Chiles. Namen in der Mapuche-Sprache finden sich überall in der Stadt, die Region heißt Bío-Bío, so wie der gleichnamige Fluss, der durch Concepción fließt. Der Bío Bío bildete lange die Grenze zwischen dem spanischen Machtbereich und den Gebieten der lange unabhängigen Mapuche.

In den vergangenen Jahren hat Concepción als Handelszentrum einen Aufschwung erlebt. Dazu beigetragen hat eine sehr gute Straßenverbindung, vom späteren Präsidenten Ricardo Lagos als Verkehrsminister in Auftrag gegeben. Die Stadt ist inzwischen zur zweitgrößten des Landes geworden, mit fast einer Million Einwohner.

Der steigende Wohnraumbedarf führte dazu, dass nach den Beben in den 1960er-Jahren von der Niedrigbauweise abgegangen wurde und doch Hochhäuser errichtet wurden - entgegen dem Rat von Experten. Genau diese Häuser sind nun vom Erdbeben am stärksten betroffen. (afs, DER STANDARD Printausgabe, 1.3.2010)