Public Value, extrascharf? - Der ORF müsse u. a. "seinen Wert für die Qualität des Journalis-mus stärker betonen", monieren Medienforscher in einer aktu-ellen Studie. 

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Reinhard Christl: neue Finanzierungsformen suchen.

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These 1: Die Marktanteile des ORF werden auch bei besten Leistungen seiner Mitarbeiter unter 30 Prozent sinken.

Das zeigt unter anderem ein Blick auf die Marktanteile der Öffentlich-Rechtlichen in anderen europäischen Ländern. Die beiden Vollprogramme des öffentlich-rechtlichen Vorzeigemediums BBC (BBC 1 und BBC 2) erreichten 2008 zusammen einen Marktanteil von 29,6 Prozent. In Deutschland kamen ARD (ohne Dritte Programme) und ZDF zusammen auf 26,5 Prozent. Bei den 12- bis 29-Jährigen sind ARD und ZDF auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit: 2009 lag ihr Marktanteil bei nur mehr 4,2 (ARD) beziehungsweise 3,3 Prozent (ZDF).

These 2: Mit den Marktanteilen werden auch die Werbeeinahmen des ORF dramatisch zurückgehen.

In Deutschland betrug der Anteil der Öffentlich-Rechtlichen an den Brutto-TV-Werbeeinnahmen im Jahr 2009 nur mehr rund fünf Prozent (ARD 3, ZDF 2 Prozent). Ein Vergleich Deutschland/Österreich ist zwar unter anderem wegen des deutschen Hauptabendwerbeverbots nicht zulässig, die Entwicklung in Deutschland zeigt aber, wie schwer es Öffentlich-Rechtliche im hochkompetitiven deutschsprachigen Fernsehmarkt künftig haben werden. In Österreich lukriert der ORF zwar noch rund 50 Prozent aller TV-Werbeerlöse, doch der Trend zeigt dramatisch nach unten: Im Jahr 2000 waren die Werbeerlöse des ORF noch etwa gleich hoch wie seine Erlöse aus Gebühren, 2009 waren sie nicht einmal mehr halb so hoch. Schreibt man die Entwicklung fort, werden sie spätestens in fünf Jahren auf ein Viertel der Gebühreneinnahmen zurückgehen.

These 3: Für öffentlich-rechtliche Medien müssen dringend neue Finanzierungsformen gefunden werden.

In hochentwickelten Medienmärkten geht der Trend in Richtung reiner Gebühren- oder Steuerfinanzierung. Völlige oder weitgehende Werbefreiheit der Öffentlich-Rechtlichen besteht bereits in Großbritannien, Schweden, Norwegen und Dänemark. In Frankreich wird sie 2011 realisiert. In Deutschland und in der Schweiz wird über eine völlige Neuordnung der Finanzierung der Öffentlich-Rechtlichen diskutiert.

These 4: Die mittel- und langfristigen Finanzprobleme des ORF müssen in einem größeren Kontext gelöst werden.

Nämlich im Zusammenhang mit der übergeordneten Frage, wie Qualitätsjournalismus künftig finanziert werden kann, egal ob im Fernsehen, im Printmedium, im Radio, im Netz oder auf multimedialen Plattformen. Denn Qualitätsjournalismus wird wegen des Abflusses der Werbeerlöse zu nichtjournalistischen Angeboten im Internet immer schwerer finanzierbar.

"Erstmals seit der Aufklärung sind wir mit der Gefahr konfrontiert, bald ohne seriöse Nachrichtenquellen leben zu müssen", formuliert Guardian-Chefredakteur Alan Rusbridger - und bezieht sich damit auf den britischen und amerikanischen Medienmarkt. Im kleinen Österreich, wo die Redaktionen schon immer sehr klein und chronisch unterfinanziert sind, ist die von Rusbridger beschriebene Gefahr noch größer. Will man ein demokratiepolitisch erforderliches Mindestmaß an Qualitätsjournalismus erhalten, sind also neue Finanzierungsformen überlebensnotwendig.

These 5: Die ORF-Diskussion darf künftig nicht mehr isoliert in Bezug auf den Rundfunk geführt werden können.

Medienunternehmen werden künftig noch mehr als bisher cross- und multimedial agieren müssen. Daraus folgt unter anderem: Für die mittel- und langfristige strategische Unternehmensplanung sowohl des ORF als auch der privaten Medienunternehmen bedarf es klarer politischer Rahmenbedingungen, welche Rolle der ORF im Internet spielen soll und welche Angebote er dort erbringen soll und darf. Fehlen solche Rahmenbedingungen, werden ausländische Medienunternehmen die entstehenden Marktlücken ausfüllen - was nicht im Sinne der österreichischen Medienpolitik sein kann.

These 6: In Österreich fehlt eine niveauvolle öffentliche Diskussion über Wert und Bedeutung des ORF.

Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten in Westeuropa betonen viel stärker als der ORF ihren Wert und ihre Bedeutung für die Qualität des Journalismus sowie für Gesellschaft und Demokratie. Beispiele finden sich etwa auf der Homepage des ZDF, in den Eigenwerbespots der SRG und in den Jahresberichten der BBC. Ergebnis: einerseits ein besseres Image der Öffentlich-Rechtlichen in diesen Ländern als in Österreich, andererseits mehr und intelligentere Diskussionen über die Bedeutung von Qualitätsjournalismus für die Demokratie.

These 7: Moderne Mediendemokratien werden auch künftig auf ein duales System öffentlich-rechtlicher und privater Rundfunkanbieter setzen.

Duale Rundfunksysteme sind ein wichtiger und weltweit bewunderter Bestandteil der europäischen Medienkultur. Öffentliche-rechtliche Medien bieten eine zentrale Plattform für Qualitätsjournalismus, den private Medienunternehmen oft nicht leisten können. Letzteres gilt in besonderem Maße für Österreich, wo Qualitätsjournalismus - wegen der Kleinheit des Marktes und der Konkurrenz durch deutsche Medien - nur sehr schwer finanzierbar ist und wo der ORF daher als einziges elektronisches Medium Qualitätsjournalismus bieten kann, der internationalen Vergleichen standhält. (Reinhard Christl/DER STANDARD; Printausgabe, 1.3.2010)