Tanzwege zur ersehnten Zweisamkeit: Das Stück "Kontakthof" von Choreografin Pina Bausch.

Foto: Szito

Wien - Harmlos ist weder das Stück noch sein Titel. Die Internet-Suchmaschine gibt unter dem Begriff "Kontakthof" zuerst Informationen über Bordelle preis. In dem gleichnamigen Tanzklassiker von Pina Bausch geht es auch um einen Markt - um den der Beziehungsanbahnung und der Gewinnung von Liebe, Zärtlichkeit und Intimität. Zum Auftakt des Tanzfestivals für junges Publikum Szene Bunte Wähne war am Wochenende im Tanzquartier (bei ausverkaufter Halle E) die dritte Version von Bauschs Kontakthof zu sehen.

In dieser Version tanzen jugendliche Darsteller ab 14 Jahren. Bausch hatte das ursprüngliche Stück 1978 mit ihren Wuppertaler Tänzern erarbeitet, zwanzig Jahre später eine Version für Senioren ab 65 gezeigt und vor zwei Jahren schließlich eine Youngsters-Ausgabe vorgestellt. Insofern stecken in dem Stück drei Jahrzehnte Gesellschaftsgeschichte. Das Geschehen spielt sich in einer Tanzschule Elmayer'schen Zuschnitts ab. Die sämtlich ob ihres jugendlichen Charmes zauberhaften Darsteller stecken in affektierten Kleiderln und steifen Anzügen und sind so sehr schön grausig anzusehen. Nicht ohne Grund.

Härte der Annäherung

Denn im Kontakthof spielt sich die ganze Härte der gegenseitigen juvenilen Annäherung und Abstoßung ab. Mit all ihren Versprechungen, Einbildungen und Enttäuschungen; mit all der Ungeschicklichkeit, Verlogen- und Verlorenheit, die die wenigstens anbahnungstechnisch permissive Konvention des Gesellschaftstanzes in manchen gesellschaftlichen Kreisen auch heute kredenzt. Die Welt im Jahr 1978: Steinzeit. Internat ja, Internet nein. Brathendl ja, Brat-Handy nein. Jet-Set wie immer, Chat-Stress unbekannt. Und so wirkt Bauschs Kontakthof erst einmal so antiquiert wie die Schnulzen ab den 1930ern, die darin abgekurbelt werden.

Aber schon auf den zweiten Blick, dem ins Internet, ist zu sehen, dass das Spiel mit den jugendlichen Hoffnungen auf eine erfolgreiche Hormonverwaltung auch da nicht wirklich an Härte eingebüßt hat. Und der dritte Blick, der in die vorhin erwähnte Werkgeschichte, macht klar, dass die Entschlüsselung dieser Arbeit allein über die Youngsters-Version ins Leere gehen muss.

Passende Metapher

Denn Bausch hat eine für alle Generationen passende Metapher auf die Genesis von allfälligen Beziehungskisten geschaffen. Und zwar mit den wichtigsten damit einhergehenden Implikationen, die die Popkultur post '78 in Videoclips ausgiebig zur Unterhaltungsware gemacht hat. Bis hin zum angedeuteten Gang Bang.

In seiner Form ist Kontakthof hoffnungslos von gestern, und gerade das hat auch ein provokantes Potenzial. Denn Bausch pfiff damals auf alle Tanzvirtuosität und nahm einen Teil jener zeichenorientierten Auffassung von zeitgenössischer Choreografie vorweg, wie sie zwanzig Jahre später im Konzeptualismus etwa eines Jérôme Bel zu voller Blüte kommen sollte. Gerade in einer Gegenwart, in der sich die Tanzbegeisterung von Jugendlichen popkulturspezifisch zwischen mittlerweile auch schon 40 Jahre alten HipHop-Breakdance-Gymnastik und deren Karikatur im Silly- und Ugly Dance ausdrückt, macht der Auftakt eines Jugendtanzfestivals mit Kontakthof wirklich Sinn.

Und wer nachliest, wie der tumbe Vampir Edward seine ramponierte Bella in dem hippen Twilight-Megaseller über die Schulball-Tanzfläche schleift, spekuliert bei Kontakthof: Pina hat's schon damals gewusst. Der sogenannte Kontakthof ist - virtuell oder analog - ein Kontrakthof, in dem Verträge ausgehandelt werden über gemeinsames Glück, an dessen Hals der Vampir der Hoffnung generationen- und trendübergreifend nuckelt. (Helmut Ploebst, DER STANDARD/Printausgabe, 01.03.2010)