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Präzise Ausführung, hohe Qualität und Tragbarkeit - dafür steht in London die Mode von Designern wie Marios Schwab, Peter Pilotto, Richard Nicoll oder, wie hier zu sehen, vom Briten Christopher Kane.

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Auf Piloten fliegt man bei Burberry.

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Auf Retro steht Designer Peter Pilotto.

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Die Schauen bestimmte ein auf jugendlich geschminktes Traditionsbewusstsein.

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London trauert um Alexander McQueen. Der Sohn eines Taxifahrers aus dem East End hat der Stadt mehr als zehn Jahre lang den Glanz der Mode gegeben, den man schon in den 1960er-Jahren verloren geglaubt hatte. Um seinetwillen hatte die Modewelt wieder nach London geblickt. Ihm haben etliche young Brits, die in seinem Kielwasser Richtung Paris und Mailand gesegelt waren, ihre Karriere zu verdanken. Und ihn, der eigentlich Lee hieß, ehrte man zum Auftakt der Modewoche mit Enthüllungen von Lee-McQueen-Gedenktafeln, mit Lee-McQueen-Trauerminuten und den Tränen von Mega-Model Kate Moss.

Das Genie eines McQueen haben nur wenige. Deshalb laboriert London als Modestadt ein wenig an dem Ruf, bloß eine Bühne für Möchtegern-Enfant-terribles ohne kommerzielle Relevanz zu sein. Tatsächlich ist London aber erwachsen geworden. Einerseits ist das auf die Rückkehr britischer Traditionshäuser wie Burberry oder Pringle of Scotland zurückzuführen, die wieder alle wichtigen internationalen Journalisten und Käufer in die britische Metropole locken. Andererseits kann London seit einigen Saisonen mit einer starken, etablierten Avantgarde aufwarten.

Kommerzieller Realismus

Unabhängige Designer wie Marios Schwab, Christopher Kane, Peter Pilotto oder Richard Nicoll überzeugen trotz ihrer relativen Jugend mit interessanten Konzepten, präziser Ausführung, Qualität und kommerziellem Realismus.

Für Herbst/Winter 2010 gibt man sich besonders traditionell und nicht selten britisch-rustikal. Sir Paul Smith holte Jungaristos als Inspiration aus ihren Landhäusern und schickte passend dazu Debütantinnen in 1950er-Petticoats, Tweed, Khaki und Reiterhosen auf den Laufsteg im Ballsaal des Claridge. Clare Waight Keller, Chefdesignerin bei Pringle, feierte das 195. Jubiläum der Marke mit Neuinterpretationen des schottischen Kilts, unaufdringlichen, dennoch pfiffigen Designs aus Kaschmir und Samt und den Farben schottischer Hochmoore.

Eine virtuose Mischung aus Archivarischem und moderner Tragbarkeit lieferte Burberrys Christopher Bailey, der wieder einmal das Kunststück schaffte, den ikonischen Trenchcoat neu zu erfinden. Seine Kadettenkollektion zeichnete sich logischerweise durch Militaria aus: Admiralsmäntel und Fliegerjacken aus Loden, Leder und Lammfell waren auch für diejenigen Zuschauer eindeutig als Verkaufsschlager zu erkennen, die der Show weder vor Ort noch bei einem 3-D- Exklusivevent, sondern nur über herkömmliches Live-Streaming beiwohnten. Das Verkaufsteam war ebenso fix wie das Designteam: Sekunden nach der Show konnte man die Teile weltweit online bestellen.

Nicht ganz billig, aber es ging auch günstiger: Billigriese Topshop, der nicht nur einen Großteil der Londoner Jungdesignershows finanziert, sondern mit Unique auch sein eigenes Laufsteglabel präsentiert, setzt zwar auf günstige Preise, spart aber nicht beim Showbudget. Sein illustres Team aus Stylisten, Visagisten und Supermodels könnte aus fast jeder Kollektion eine High Fashion-Veranstaltung machen. Aber die Unique-Kollektion hätte auch ohne Brimborium ihren Reiz: überdimensionale Cardigans, Pelz- und Ledermäntel im Lagenlook und Wachsjacken sind gleichzeitig jung und britisch-traditionell.

Ähnlich traditionsbewusst gab sich Marios Schwab. Der GräkoÖsterreicher, der schon mit griechisch angehauchten Kollektionen Furore gemacht hatte, konzentrierte sich diesmal auf seine austriakischen Wurzeln, konkret auf seine Zeit als einziger Bub an einer Salzburger Mädchenschule. Klassenkameradinnen wurden dort laut Schwab zu "Hardcore-Hausfrauen" ausgebildet, er entwickelte eine besondere Vorliebe für Dirndlschneiderei. Dirndlelemente wie Schnürmieder und betonte Dekolletés waren avantgardistisch und präzis, streng und sexy und fügten sich nahtlos in die kompromisslose Schwab-Ästhetik, die zu Recht als eine der stärksten Londons gehandelt wird und seit Schwabs Ernennung zum Halston-Chefdesigner einem breiteren Publikum zugänglich ist.

Das zweite Label österreichischer Provenienz, Peter Pilotto, war auch in Retrolaune und fand Inspiration in der Farbpalette der 1970er, bei modernistischer Architektur, Woody Allens Film-"Interiors", beim Verhältnis zwischen Zivilisation und Chaos. Die Liste ließe sich fortsetzen. Pilotto und Christopher de Vos ist es aber auch gelungen, ihre Retrorecherche in eine zukunftsweisende Kollektion zu verwandeln. Sie beweisen eindrucksvoll, dass sie neben unglaublich beliebten, bedruckten Cocktailkleidern auch Alltagstaugliches designen können.

Christopher Kane erfand wie üblich seinen eigenen Trend, den man als Priscilla Presley Teenagebrautlook umschreiben könnte. Das mischte er noch mit schwarzer Spitze und bunter Blumenstickerei auf PVC. Schon allein, dass ihm diese Rechnung aufging, darf als Triumph gewertet werden. Risiko hin, bad taste her: Kanes Kollektion war cool und professionell zugleich. Damit ist er ein typischer Vertreter der erfolgreichen neuen Londoner Avantgarde. (Britta Burger aus London, DER STANDARD, Printausgabe, 27.02.2010)