Wie sehr sich im Kern der Union die innere Einstellung zur EU-Erweiterung geändert hat, zeigt sich deutlich am zuständigen Erweiterungskommissar Stefan Füle: Die Zeit der Vorsicht ist angebrochen, es regiert der Pragmatismus. Kandidaten wie Kroatien und Island müssen geduldig sein.

Im vergangenen Jahrzehnt war es umgekehrt. Der gesamte EU-Betrieb schien von der Aufnahme von (insgesamt zwölf) neuen Mitgliedern aus Osteuropa plus Mittelmeer geprägt. Euphorisch wurde die Überwindung der Teilung Europas begrüßt. Aber zuletzt schlug die Freude oft in Frust um. Denn die Union schien wie gelähmt. Die Reformen für besser funktionierende Strukturen in der größten Wirtschaftsgemeinschaft der Welt, mehr Demokratie, das gelang nicht.

Der neue EU-Vertrag trat erst vor drei Monaten mit sieben Jahren Verspätung in Kraft. Auf seine Umsetzung, auf den Aufbau der neuen Strukturen und Abläufe zwischen Ministerrat, Kommission und EU-Parlament, ist derzeit die ganze Energie in Brüssel und in den Hauptstädten gerichtet. "Wir wollen nicht nur eine größere, wir wollen eine stärkere Union", fasste Füle die neue Linie zusammen.

Konsolidierung ist angesagt. Aus diesem Grund läuft der Erweiterungsprozess auf Sparflamme. An den Kandidaten kann es nicht liegen. Beispiel Island: Mit seinen 320.000 Einwohnern würde es 0,06 Prozent der Einwohner der Union stellen, wie Graz - de facto also ein Nullproblemfall.  (Thomas Mayer/DER STANDARD, Printausgabe, 25.2.2010)