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Foto: APA/ANDREAS PESSENLEHNER

San Diego/Zürich - Auch für Bereiche wie Stadtplanung und Sozialwissenschaft wächst die Bedeutung mathematischer Modelle, besonders wenn es um komplexes Verhalten vieler Menschen geht. Ein Beispiel dafür, betreffend die Bewegungsmuster einzelner Menschen in großen Ansammlungen, lieferte der Soziologe Mehdi Moussaid von der ETH Zürich am Jahrestreffen der American Association for the Advancement of Science in San Diego. Dies lässt sich praktisch anwenden: Moussaids Forschungen helfen beispielsweise Veranstaltern von Großereignissen beim Entwurf von Sicherheitsvorkehrungen und Stadtplanern beim Entwurf von Straßen und Gehsteigen.

Das wichtigste Instrument von Moussaids Team ist die Videokamera. "Wir filmen Menschenmassen im echten Leben, etwa auf der Straße oder in Einkaufszentren", berichtet sein Kollege Anders Fredrik Johansson. Aus den Aufzeichnungen suchen die Forscher Algorithmen, die die Bewegung des Einzelnen und in Folge auch der Masse vorhersagen können. Wichtigste Indikatoren seien dabei die Dichte, wofür Menschen pro Quadratmeter gezählt werden, die Flussrate, für die der Fortschritt pro Sekunde gemessen wird, und die Beziehung der Einzelnen zueinander.

Kulturelle Unterschiede

Bei der Suche, wie die Dichte der Menge den Bewegungsfluss bestimmt, sind laut Johansson mehrere soziale Kräfte ausschlaggebend. "Die wichtigste ist, wie viel Freiraum jeder einzelne braucht, was kulturell bedingt ist. Etwa in Japan und Indien akzeptieren Menschen, dass sie in einer Menge viel weniger Platz zur Verfügung haben als in Europa. Dieser Umstand sowie die geringere Körpergröße ermöglichen in Asien auch einen schnelleren Fluss bei hoher Menschendichte. In Europa beschleunigt man den Schritt, um anderen nicht zu nahe zu kommen, was jedoch insgesamt zu einer Verlangsamung der Masse führt", so der Züricher Soziologe.

Daneben sind die Bewegungsabsicht des Einzelnen, die Beziehung zu den Weggefährten und äußere Umstände wie etwa Hindernisse entscheidend. Kulturell ist laut den Erkenntnissen der Forscher auch das Ausweichverhalten bestimmt. "Gehen Menschen aufeinander zu, weichen sie in Europa eher nach rechts aus, in manchen Kulturen ist es eher links. Für den Fluss ist rechts oder links egal. Wichtig ist, dass es diese Regel gibt, denn sie erlaubt eine Beschleunigung. Effizienzkonflikte und folglich Verlangsamung treten dann ein, wenn bei internationalen Großereignissen viele Kulturen aufeinandertreffen", so Johansson.

So wie die Ausweichseite automatisiert ist, organisieren sich Menschen, die sich in verschiedene Richtungen bewegen, auch wie von selbst in Bahnen. Diese Strategien, die die Interaktion der Masse deutlich verbessern, sind äußerst simpel und vor allem unbewusst. Im Alltag können sie jedoch große Bedeutung besitzen, betont der Experte. "Es gibt verschiedene Formen von Menschenmassen und auch die Ziele der Stadtplaner sind jeweils andere. In Zugstationen muss man versuchen, Menschen möglichst rasch loszuwerden, während sie in Geschäftsstraßen und Einkaufszentren zum Verweilen verlockt werden sollen." (pte/red)