Thomas De Padova fordert die Wissenschafter auf, mehr in die Öffentlichkeit zu treten und auch von Fehlern zu erzählen.

Foto: Lisi Specht

Was ihn an den beiden Wissenschaftern fasziniert und zum Schreiben trieb, erfuhr Peter Illetschko.

STANDARD: Wieso gehören die Lebensgeschichten von Kepler und Galilei in ein Buch?

De Padova: Nach der Lektüre von einigen Werken Galileis entdeckte ich einen Brief, den Kepler geschrieben hat, mit dem er auf die große Erfindung Galileis, auf das Fernrohr, reagiert hat. Kepler war überrascht und begeistert, er hat nicht vorhersehen können, dass es da draußen Himmelskörper gibt, die man mit bloßen Auge nicht erkennen kann. Und er hatte sofort Ideen, wie man das Fernrohr weiterentwickeln könnte, wie man die Linsen besser schleifen könnte. Ein Zusammentreffen, wie man es in der Wissenschaft damals nur selten fand: Auf der einen Seite der Erfinder, der in der Mechanik verankert ist, eine Künstlernatur, auf der anderen Seite jemand, der sofort den größeren Kontext erkannte und auch um neue Begriffe und Differenzierungen ringt. Galilei hatte dann in einer Zeit, als es noch keine Labors an den Universitäten gab, eine eigene Werkstatt, wo er das Fernrohr schnell weiterentwickelt.

STANDARD: Galileis Fernrohr gilt als Musterbeispiel einer gelungenen Innovation. Hat er an der Umsetzung der Idee, die Sterne zu beobachten, lange getüftelt?

De Padova: Galilei setzte sich zunächst das Ziel, das Fernrohr ans Militär zu verkaufen. Erst beim Bauen des Werkzeugs, er hielt es in Richtung Himmel, wurde ihm klar, dass man es in der Wissenschaft verwenden könnte. Das ist ein schönes Beispiel dafür, dass Innovationen nicht planbar sind, dass vieles vom Zufall abhängt. Es war ja nicht einmal für Venedig planbar, den großen Erfinder in der Stadt zu behalten. Drei Monate später ging Galilei weg und hatte sich vom Hof der Medici in Florenz abwerben lassen. So wie das heute ist: Wissenschafter gehen nach interessanten Publikationen in Fachjournalen nicht selten in die USA.

STANDARD: Welche Jobs hätten Galilei und Kepler in der heutigen Zeit: ein Forscher im Dienste eines Unternehmens und einer an der Universität und beide unter dem Druck, Ergebnisse zu liefern?

De Padova: Bei Galilei ist ein solcher Job vorstellbar, er wäre wohl ein Tüftler. Bei Kepler ist die Zeitreise schwieriger, weil für ihn der Zugang zur Wissenschaft auch ein religiöser war. Er glaubte an die Schöpfung eines wohlgeordneten Kosmos. Er wollte zuerst Theologe werden. Dieser Zugang zur Wissenschaft war damals normal, den gibt es heute kaum noch. Kepler wäre heute vielleicht ein Wissenschafter, wie Einstein einer war, einer, der sich politisch äußert, der mitbestimmen will. Er bemühte sich sehr um den Weltfrieden und um eine Annäherung zwischen den Konfessionen. Was ihm sehr viel Ärger brachte – sowohl bei den Protestanten als auch bei den Katholiken. Ich hoffe, dass das bei der Lektüre des Buches nachvollziehbar wird.

STANDARD: Das Thema des Buches ist ja nicht zufällig gewählt, weil Sie Physik und Astronomie studiert haben. Wie geplant war es, als gelern- ter Wissenschafter Schriftsteller zu werden?

De Padova: Nein, das entstand wirklich zufällig. Ich habe schon bald festgestellt, dass es für die Wissenschaft in der Gesellschaft keinen richtigen Ort gibt. Wenn ich zum Beispiel erzähle, dass ich Physik studiert habe, dann kommt als Reaktion: "Ach, das habe ich schon in der Schule nicht verstanden." Und damit ist das Gespräch beendet. Schreiben ist eine Möglichkeit, aus dieser Sprachlosigkeit, aus dieser Einsamkeit als Naturwissenschafter herauszukommen und anderen und mir selbst eine Stimme zu geben.

STANDARD: Schreiben über Wissenschaft ist mittlerweile in Qualitätsmedien durchaus ein Thema geworden. Das Bemühen der Journalisten um mehr Platz für ihre Themen war also nicht ganz erfolglos. Welche Aufgaben müssten die Wissenschafter erfüllen, um die Kommunikation über ihre Themen im Rahmen des Möglichen noch besser zu gestalten?

De Padova: Die Wissenschafter haben da eine Bringschuld. Wenn Sie die Publikationen der Forscher lesen, dann werden Sie nie erfahren, wie die Autoren zu einem Ergebnis gekommen sind. Der Weg gehört zu einer Erzählung. Da ist Kepler vorbildlich. Er sagte: Wenn wir von Columbus und Magellan nur wüssten, wo sie angekommen sind, und nicht die Irrfahrten kennen würden, dann wären diese Reiseerzählungen nur halb so schön. Kepler erzählte von seiner Arbeit, von seinen Fehlern, von Monaten vergeblicher Arbeit. Da schreibt er mit Selbstironie, was heute in der wissenschaftlichen Literatur fehlt.

STANDARD: Es gibt Ausnahmen, die mit Büchern sich um ein Publikum für ihre Themen bemühen. Da gibt es einen Boom, von dem auch Sie profitieren. Was hat ihn ausgelöst?

De Padova: Wenn Wissenschafter in die USA gehen, lernen sie einen offeneren Umgang mit der Öffentlichkeit. Wenn sie nach Europa zurückkehren, probieren sie das hier aus. Das ist eine schöne Entwicklung, wir brauchen aber auch bessere Rahmenbedingungen. Wissenschaft muss wieder ein Teil unseres Bildungskanons werden. Man sollte dazu ermuntert werden, über Wissenschaft zu sprechen. Schulen könnten dazu viel beitragen. Sie sollten einen anderen Zugang wählen, der nicht so sehr an Ergebnissen orientiert ist. Und die Schüler selbst dazu ermuntert, kleine Forscher zu werden. Derzeit wird viel von oben herab präsentiert. Es geht nur um richtig und falsch. Fehler sollten erlaubt sein. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.2.2010)