Wien - Die zwei Burschen teilen ein Schicksal. Beiden ist das Leben ein wenig entglitten, beide leben in einer betreuten Wohngemeinschaft. Ein Lehrplatz soll ihnen auf die Beine helfen - doch die Chancen sind nicht gleich. Der eine muss einen Teil seines kleinen Einkommens für seinen Wohnplatz opfern, der andere nicht. Grund: Sie kommen aus verschiedenen Bezirken.

Arbeit wird bestraft

Michael Gnauer, Sozialarbeiter der SOS Kinderdörfer, kennt aus eigener Erfahrung viele solcher Beispiele. Möglich macht's, wie er sagt, der "Spielplatz Föderalismus". Zwar diktiert ein österreichweites Jugendwohlfahrtsgesetz grobe Richtlinien, doch wie gestrauchelten Minderjährigen - betroffen sind 35.000 - konkret unter die Arme gegriffen wird, entscheiden die Länder und Bezirke. Das sorgt für Wildwuchs, wie eben beim Regress. Viele Ämter bitten Jugendliche mit eigenem Verdienst überhaupt nicht zur Kasse, manche nur die Burschen, andere wiederum alle - "und bestrafen damit jene, die arbeiten", kritisiert Gnauer.

Anderes Beispiel: Prinzipiell zahlt die Jugendwohlfahrt nur für Minderjährige. Allerdings können die Behörden Stützmaßnahmen bis zum Alter von 21 verlängern, damit ein Sorgenkind etwa nicht aus dem angestammten Wohnplatz herausgerissen wird, ehe es auf eigenen Füßen stehen kann. Auch das hängt vom Gutdünken lokaler Beamter ab. Während sich die Steiermark recht großzügig zeige, erzählt Gnauer, genehmige Wien nur in Ausnahmefällen Verlängerungen und schickt Volljährige zur Sozialhilfe. Wenn Hilfsorganisationen die Kosten nicht übernehmen können, fliegen Jugendliche über 18 aus ihren Programmen - und vielleicht wieder aus der Bahn, meint der Sozialarbeiter: "Warum sollen gerade Problemfälle früher reif werden als gewöhnliche Kinder?"

Die Zahnspange zieht mit

Umgekehrt gilt Wien als freigiebig, wenn es um Sonderleistungen - von der Zahnspange bis zur Spezialtherapie - geht. Zieht ein Kind in ein knausrigeres Land um, muss es Behandlungen unter Umständen abbrechen. "Die Klienten sind mobiler als die Behörden", sagt Gnauer und berichtet von einem "Kunden" , der von Salzburg nach Tirol übersiedelt war: Zwei Monate dauerte es, ehe die nun zuständige Behörde zahlte. Noch länger, ein halbes Jahr, brauchte das Amt, um in einem anderen Fall einen neuen Sozialarbeiter abzustellen, nur weil eine sozial auffällige Mutter von Kitzbühel nach Kufstein gezogen war.

Nicht nur Experten schütteln über das Durcheinander den Kopf. Familienstaatssekretärin Christine Marek (VP) will das Jugendwohlfahrtsgesetz reformieren, auch um die Qualitätsstandards zu vereinheitlichen. Im Juli soll die Neufassung fertig sein, doch Kärnten, Tirol, Salzburg und Oberösterreich haben ihr Veto eingelegt. Die Länder sträuben sich gegen die Kosten: Würde bei der Abklärung, ob ein Kind gefährdet ist, flächendeckend das Vieraugenprinzip eingeführt, koste das laut Gesetzesentwurf insgesamt eine Million. Der Verzicht auf sämtlichen Regress schlüge sich mit 580.000 Euro zu Buche.

Ums Kindeswohl gehe es "auf diesem Basar" nicht, sagt Sozialarbeiter Gnauer: "Jedes Land pflegt seinen Schrebergarten." (Gerald John, DER STANDARD, Printausgabe, 24.2.2010)