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Zu Ausfällen neigend: Gordon Brown.

Foto: AP/Kirsty Wigglesworth

Dass Gordon Brown ein emotionaler Mensch ist, wissen die Briten spätestens seit einer Woche. Da sprach der Premier, den Tränen nahe, erstmals öffentlich über die Trauer um seine Tochter Jennifer, die 2002 im Alter von zehn Tagen starb. Das Weichspüler-Gespräch für einen Kommerzsender hatte hohe Einschaltquoten. Zufall oder nicht: Einer in den Tagen darauf erhobenen Umfrage zufolge liegt Labour nur noch sechs Punkte hinter den Konservativen, der geringste Abstand seit einem Jahr.

Am Samstag, seinem 59. Geburtstag, stellte Brown in Coventry nicht nur seinen Wahlkampf-Slogan "A future fair for all" (Eine faire Zukunft für alle) vor. Er überraschte seine Zuhörer auch mit Selbstkritik: Er sei "nicht perfekt" . Das ist selbst im Mutterland des Understatement eine rührende Untertreibung, wie sich dem neuen Buch des bestens vernetzten Journalisten Andrew Rawnsley entnehmen lässt: Dort wird Brown geschildert als dünnhäutiger und paranoider Politiker, der enge Mitarbeiter verängstigt und mit Schimpfwörtern bombardiert. So alarmierend sei das Verhalten des Premiers gewesen, schreibt Rawnsley im Observer, dass Großbritanniens höchster Beamter, Kabinettssekretär Gus O'Donnell, den Regierungschef ermahnt habe: "So kommt man nicht zu Ergebnissen."

Die Enthüllungen bestätigen das Bild, das Journalisten und enge Mitarbeiter bereits zeichneten, als Brown noch Schatzkanzler war. Brown habe "psychische Schwierigkeiten" , sei "vollkommen unfähig zur Teamarbeit" und "verblendet" , gab der frühere Kabinettskollege Charles Clarke zu Protokoll. Andrew Turnbull, Personalchef im Schatzkanzleramt, später als Kabinettssekretär Vorgänger O'Donnells, sprach vom Premierminister als einem "unbarmherzigen Stalinisten" .

Die Dementis aus der Downing Street klangen halbherzig: O'Donnell habe "keine Untersuchung" durchgeführt, Brown will "noch nie jemanden geschlagen" haben. Autor Rawnsley verweist auf sein zehn Jahre altes Buch Servants of the People (Diener des Volkes), in dem die fulminanten Auseinandersetzungen zwischen Brown und seinem Vorgänger Tony Blair erstmals detailliert beschrieben wurden. Die damaligen furiosen Dementis entpuppten sich alle als lügenhaft. (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, Printausgabe 22.2.2010)