Bild einer "Nana" nach Niki de Saint-Phalle gezeichnet von Patricia Wendling

Foto: Patricia Wenling

Jeden zweiten Freitag im Monat treffen sie auf einander. Frauen, die sich zu einer Gruppe zusammengeschlossen haben, um die Dickenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft zu beenden: die ARGE Dicke Weiber.

In einer Aussendung im Jänner 2010 machte die feministische Initiative auf sich aufmerksam: "Aus Medien, Wirtschaft und Werbung, aus Medizin und Sport – von allen Seiten erreicht uns die Botschaft 'Schlank ist schön, schlank ist gesund, schlank ist normal und schlank ist produktiv!'. Diese Botschaft bedeutet im Umkehrschluss: 'Dick ist hässlich, dick ist krank, dick ist abnormal und dick ist unproduktiv!'. Diese Botschaft übt einen immensen Druck auf dicke Menschen aus, sie ist menschenverachtend und sie zerstört das Selbstwertgefühl und die Beziehung zum eigenen Körper tiefgreifend".

Gründe genug für dieStandard.at bei der ARGE Dicke Weiber nachzufragen, was es mit der Gruppe auf sich hat, wer dahinter steht und welche Ziele sie verfolgt.

dieStandard.at: Seit wann gibt es die ARGE Dicke Weiber?
ARGE Dicke Weiber: Im Mai 2009 rief Patricia Wendling zur Gründung einer "Feministischen Aktionsgruppe dicker Frauen" auf. Die Zeit war reif, um aus der Isolation der eigenen Betroffenheit herauszutreten und sich mit anderen dicken Frauen zu verbünden. Denn Tatsache ist, dass die gesellschaftliche Diskriminierung dicker Frauen und Mädchen unaufhaltsam zunimmt. Im November gaben wir uns den Namen "ARGE Dicke Weiber".

dieStandard.at: Wer seid ihr und wo kommt ihr her?
ARGE Dicke Weiber: Wir sind eine autonome, feministische Initiative dicker Frauen, Lesben und Hexen – unterschiedlichen Alters, aus unterschiedlichen Lebenszusammenhängen, mit unterschiedlichem Gewicht und unterschiedlich politisiert. Einige sind schon jahrelang als Feministinnen in der autonomen Frauen- und Lesbenbewegung aktiv, einige kommen aus gemischtgeschlechtlichen linksalternativen Projekten, für andere ist dies ihre erste politische Gruppe. Die ARGE Dicke Weiber besteht derzeit aus rund 13 Frauen.

dieStandard.at: Was heißt für euch "dick", wie definiert ihr den Begriff?
ARGE Dicke Weiber: Auf die häufig gestellte Frage "Ich wiege XY Kilo und trage Kleidergröße XY. Bin ich dick genug für die ARGE Dicke Weiber?" geben wir die Antwort "Ja! Wenn du dich selbst als dick begreifst und das Thema Dick-Sein dein Leben geprägt hat." Wir wiegen und messen uns nicht und stellen keine Tabellen auf, das haben andere schon zur Genüge getan und tun es immer noch. Wir vergleichen uns auch nicht, denn jede Frau ist einzigartig. "Dick" ist das, womit viele von uns bezeichnet werden – und sei es nur mit dem Ausspruch "Aber du bist doch gar nicht so dick!" – und "dick" ist das, was in dieser Gesellschaft nicht sein darf. Die "argen dicken Weiber" nehmen sich ihr Recht, sein zu dürfen – und ecken damit an. Anzuecken heißt, dick zu sein.

dieStandard.at: Das heißt, ihr lehnt auch den Begriff "Normalgewicht" ab?
ARGE Dicke Weiber: Ja, bei der ARGE Dicke Weiber gibt es keine "normalgewichtigen" Frauen! Wir verstehen uns grundsätzlich als Betroffenen-Gruppe. Das heißt, als Gruppe von Frauen, die sich selbst als dick begreifen und mehrheitlich auch von außen so wahrgenommen werden. Weil es bei uns auch um gegenseitige Stärkung und Selbstermächtigung geht.

dieStandard.at: Habt ihr persönlich Erfahrungen der Diskriminierung aufgrund des Aussehens / Gewichts? Könnt ihr einige Beispiele anführen?
ARGE Dicke Weiber: Ja, natürlich! Mit zehn Jahren auf Diätferien geschickt zu werden, bei Vorstellungsgesprächen abgelehnt zu werden, eine staatliche Ausbildung verweigert zu bekommen, von Ärzten nicht fachgerecht behandelt zu werden, an öffentlichen Orten körperlich und verbal angegriffen zu werden, von fremden Menschen im Supermarkt zum Abnehmen aufgefordert zu werden, mit Nahrungsentzug konfrontiert zu sein, ... Und nicht zu vergessen, die alltäglichen Beeinträchtigungen und Demütigungen unseres Lebens: Kleidergrößennorm, Möbelnorm, dickenfeindliche Werbung und Filme, Attribute wie dumm, hässlich, faul, krank. Angst vor Arztbesuchen, Maßregelungen, Scham und Isolation.

dieStandard.at: Was verbindet ihr symbolisch mit den Termini "Gewicht / Übergewicht / Platz einnehmen" etc...?
ARGE Dicke Weiber: Der Begriff "Übergewicht" bedeutet im herkömmlichen Sprachgebrauch "über dem Normalgewicht". Als Feministinnen begrüßen wir die menschliche Vielfalt und lehnen daher eine Normierung grundsätzlich ab. Insofern wird dieser Begriff von uns nicht verwendet! Genauso wenig wie umschreibende Begriffe wie "Rubensfrauen", "Mollys", "Moppel-Ichs", "Pfundsweiber", "Frauen mit Format" und so weiter. Wir halten diese Umschreibungen nicht für zielführend, die Einstellung und den Blick gegenüber dicken Frauen und unseren Lebensbedingungen positiv zu verändern. Aus diesem Grund haben wir uns für den offensiven Begriff "dick" entschieden, weil er ursprünglich ein wertfreies Eigenschaftswort war, das wir uns zurückerobern wollen.
Übrigens, "einer Person oder einer Sache Gewicht verleihen" heißt ja auch, "ihr Bedeutung beimessen". "Übergewicht verleihen" würde dann also heißen, "einer Person sehr große Bedeutung beimessen". Vielleicht kommt daher auch die Angst vor dicken Frauen? Die Angst vor unserer Stärke, unserer Größe, unserer Sinnlichkeit und Unkontrollierbarkeit?

dieStandard.at: Das könnte auch der Grund sein, warum sich Frauen "dünne machen" sollen.
ARGE Dicke Weiber: Ja, um der patriarchalen Vorstellung von Weiblichkeit zu dienen und damit die herrschende, von Männern dominierte Gesellschaftsordnung aufrecht zu erhalten. Das heißt, von Frauen wird im Patriarchat erwartet, den Männern zuzuarbeiten und dabei möglichst im Hintergrund zu bleiben – unsichtbar, leise, bescheiden, fleißig, sauber, kontrolliert. Je weiter wir es als Frauen in den Vordergrund schaffen, desto mehr werden unsere Körper und damit unser Geschlecht angegriffen, lächerlich gemacht, zerstört. Dazu gehören neben der Forderung schlank zu sein, auch die Forderungen nach Jugendlichkeit, Enthaarung und sexueller Verfügbarkeit. Neben Unmengen an Zeit und Geld, die uns die Erfüllung dieser Forderungen abverlangt, stoßen wir dabei auch immer öfter an die Grenzen des tatsächlich Machbaren. Das bedeutet, wir fühlen uns als hässliche Versagerinnen, vereinzeln und haben auch keine Ressourcen mehr. Und das Patriarchat hat uns wieder genau da, wo es uns haben will.

dieStandard.at: Hattet ihr bei der Gründung eurer Initiative Vorbilder?
ARGE Dicke Weiber: Als Gruppe zum Beispiel "Fat Underground", die in den 1970er-Jahren in Los Angeles aktiv waren oder die Organisation "Nolose" mit Sitz in Oakland. Als Dicken-Aktivistinnen alle unsere internationalen Vorreiterinnen und Kolleginnen wie z.B. Marilyn Wann, Charlotte Cooper, Krissy Durden oder Stacy Bias. Und natürlich lieben wir auch alle stolzen dicken Frauen im Showbusiness wie Beth Ditto, Dawn French, Mo'Nique, Queen Latifah, Velvet d'Amour, Marianne Sägebrecht, Hella von Sinnen und viele andere mehr.

dieStandard.at: Und welche Literatur empfiehlt ihr – ich denke zum Beispiel an Susie Orbachs "Anti-Diätbuch"
ARGE Dicke Weiber: Die Ratgeberin von Gisela Enders: Dick das Leben leben (Selbstverlag, 2001). Feministische Frauenliteratur zum Thema ist auf Deutsch leider so gut wie nicht zu finden. Wir empfehlen daher hauptsächlich englische Bücher. Zum Beispiel: Cooper, Charlotte: Fat and Proud: the Politics of Size (The Women's Press, 1998), Schoenfelder, Lisa / Wieser, Barb: Shadow on a Tightrope: Writings by Women on Fat Opression (Spinsters/Aunt Lute, Iowa City 1983) und Wann, Marilyn: FAT!SO? Because You Don't Have to Apologize for Your Size (Ten Speed Press, 1999)

Susie Orbachs "Anti-Diätbuch" empfehlen wir nicht bzw. nur eingeschränkt. Obwohl wir uns natürlich so wie Susie Orbach gegen jegliche Form von Gewichtsreduktions-Diät aussprechen, geht die Autorin leider genau von der Pathologisierung des dicken Körpers aus, die wir bekämpfen wollen. Als Psychotherapeutin meint Orbach, Dick-Sein sei ein Symptom einer psychischen Störung. Das heißt, wenn die Störung bewältigt ist, verschwindet auch das Dick-Sein. Wir meinen, Dick-Sein ist Teil der menschlichen Vielfalt. Es ist genauso wenig oder genauso viel ein Anzeichen von Krankheit wie es Dünn-Sein ist. "Gesund und Krank" und "Dick und Dünn" sind zwei voneinander unabhängige Zustandsbeschreibungen von Lebewesen, die nicht verwechselt werden sollten.

dieStandard.at: Nun ist ja schon sehr viel über eure Ziele deutlich geworden. Wenn ihr das, was ihr gesellschaftspolitisch erreichen wollt, mit einem Satz sagen sollt, wie lautet der?
ARGE Dicke Weiber: Die Dickenfeindlichkeit in dieser Gesellschaft beenden.

Das Gespräch führte Dagmar Buchta.
(dieStandard,at, 21.02.2010)