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Vorrang für den Chef.

Foto: Reuters

Großes Theater im Pacific Coliseum. Citius, altius, fortius, das klassische Motto Olympias, hat im Eiskunstlauf einen schlechteren Stand denn je, und Jewgeni Pluschenko (27) findet das gar nicht toll. "Die Menschen wollen Vierfache sehen" , sagte der Russe nach seiner Kür, die er zu den Klängen von Tango Amore mit einer Kombi aus vierfachem und dreifachem Toeloop eröffnet hatte. Die Preisrichter nicht unbedingt.

An sich hatte Pluschenko, der Olympiasieger 2006, dreifache Weltmeister und sechsfache Europameister, dazu noch einen zweifachen Rittberger im Angebot, was eine Superkombi gewesen wäre, aber er spielte ihn nicht aus. Und landete mit 1,31 Punkten Rückstand, die mit einem gelungenen Rittberger locker wettzumachen gewesen wären, auf dem Silberplatz. Hinter Evan Lysacek (24), dem Weltmeister.

Pluschenko freilich hatte nicht mitgespielt bei den Titelkämpfen 2009 in Los Angeles. Der verbronzte Vizeweltmeister Daisuke Takahashi (23), der seinen vierfachen Toeloop auf dem Hosenboden landete und als erster Japaner eine olympische Eiskunstlaufmedaille heimbringen wird, lag rund zehn Punkte zurück.

Einer der wenigen, die es wagten, auf einen Vierfachen zu verzichten, war Lysacek, die personifizierte Eleganz aus Chicago. Er wollte eigentlich Eishockeyspieler werden, hatte aber dann keine Chance gegen den Willen der Mama, die ihn zu einem Eiskunstlauftrainer schickte. Sogar der Vorarlberger Viktor Pfeifer (22) schaffte einen vierfachen Toeloop, die Landung schaffte er allerdings nicht, dennoch verbesserte er sich vom 23. Platz nach dem Kurzprogramm auf den 21. in der Endwertung. "Ich werde weiterarbeiten" , sagte Pfeifer.

Was Lysacek, geschmeidig bis in die Haarpracht, zu Rimski Korsakows Serenade aufs Eis zauberte, war schlichtweg fehlerlos. Auch ein Lutz, kombiniert mit einem Toeloop, jeweils in dreifacher Ausführung, hat seinen Reiz. Und als man sich nachher umhörte unter den hunderten Kundigen, sagten die einen so, und die anderen sagten so. "Die Amerikaner brauchen dieses Gold unbedingt" , beispielsweise, oder: "Gut, dass sich die Preisrichter nicht mehr an großen Namen orientieren."

Pluschenko macht weiter

Pluschenko sagte so: "Ich war mir sicher, dass ich gewonnen habe. Aber Evan braucht diese Medaille dringender als ich." Er, Pluschenko, respektiere alle Gegner, und er gebe auch zu, nicht sein bestes Eislaufen gezeigt zu haben. "Aber die Bewegung sollte nach vorn gerichtet sein, nicht stoppen. Und auch ich höre nach dieser Niederlage nicht auf. Ich bin ein einfacher Eiskunstläufer und mache meinen Job."

Lysacek sagte so, nachdem er vom russischen IOC-Mitglied Witali Smirnow die Goldene umgehängt bekommen und bei der US-Hymne die Hand aufs Herz gehalten hatte: "Ein Traum ist wahr geworden. Auf diesen Sieg war ich gar nicht vorbereitet. Ich habe Pluschenko immer schon bewundert. Manche arbeiten eben hart an den vierfachen Sprüngen, ich arbeite sehr hart an den Pirouetten."

Das große Theater im Pacific Coliseum lieferte freilich auch Slapsticks, nicht nur ge- und misslungen Vierfache. Japans Nobunari Oda (22), der vom vierten auf den siebenten Platz zurückfallen sollte, patzte nicht nur wiederholt, zum Überdruss riss ihm während der Kür das Schlittschuhband. Er konnte es in der dafür vorgesehenen Zeit von drei Minuten behelfsmäßig wieder verknoten, und das alles passierte just zu einem Medley von Charlie Chaplins Filmmusik.

Karl Schäfer selig, mit dem tags zuvor die rodelnden Tiroler Brüder Andreas und Wolfgang Linger insofern gleichgezogen hatten, als sie wie der Wiener Gold bei zwei aufeinander folgenden Spielen gewannen, ist es jedenfalls erspart geblieben, von Pluschenko in der ewigen Bestenliste Olympias überholt zu werden. Der Russe bleibt mit einmal Gold (2006) und zweimal Silber (2002, 2010) an vierter Stelle hinter dem Ex-aequo-Zweiten Schäfer.

Und in diesem Zusammenhang kann man daran erinnern, dass der US-amerikanische Balletttänzer auf Eis, Jackson Haines, dessen Künste daheim nicht so geschätzt wurden, in den 1860er-Jahren den Eiskunstlauf in Wien salonfähig machte, von wo der Sport hinauszog in die Welt. Und dass beim Engelmann, Schäfers Klub in Hernals, anno 1909 die erste Kunsteisbahn der Welt gebaut wurde. Der dadurch den Österreichern verschaffte Trainingsvorsprung freilich ist längst aufgezehrt. Dafür zählt Eiskunstlauf-Gold in den USA zu den wertvollsten Metallen überhaupt. (DER STANDARD PRINTAUSGABE 20.2. 2010)