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Die systematische Auswertung klinischer Forschungsergebnisse ist das A und O der Evidenz basierten Medizin.

Foto: AP/Mark Lennihan

Für jeden, der krank ist, steht eine Frage im Vordergrund: Welche Medizin ist die beste? Einfache Antworten dazu gibt es aber nicht. Denn: Können alle Patienten immer über einen Kamm geschoren werden? Sind neue Medikamente immer auch am wirk- samsten? Welche statistischen Beweise gibt es für die Effizienz von Therapien?

Diese Fragen versuchen Vertreter von Evidenz-basierter Medizin zu klären. Sie sammeln Daten, vergleichen sie und werten sie statistisch aus. Von Pharmafirmen sind sie unabhängig. Am Donnerstag treffen einander die deutschsprachigen EBM-Experten auf einer Tagung in Salzburg. Ihr zentrales Thema: die Arzt-Patienten-Kommunikation.

Während Pharmafirmen am liebsten nur den Nutzen ihrer Arzneien darstellen, geht die Evidenz-basierte Medizin davon aus, dass jede Medikamentengabe mit einem Schaden verbunden ist, der vor der Verschreibung gegen den erwartbaren Nutzen für den konkreten Patienten abzuwägen ist. Doch viele Ärzte schrecken davor zurück, solche Überlegungen gemeinsam mit Patienten anzustellen. Sie fürchten, dass Medikamente ihre Placebowirkung einbüßen, wenn offen über Nebenwirkungen gesprochen wird. Die Befürchtung ist plausibel, aber nicht durch Studien belegt.

Die Methodik

Die systematische Auswertung klinischer Forschungsergebnisse ist das A und O der Evidenz basierten Medizin. Doch diese Grundlage ist bedroht, wenn Hersteller selektiv für sie günstige Studien veröffentlichen. Auch die Auswahl der in Studien untersuchten "Endpunkte" (siehe Wissen) kann das Bild verzerren. Die Wirksamkeit einer Arznei stellt sich gewöhnlich erst nach mehrjähriger Erprobung in der Praxis heraus. Teilnehmer von Zulassungsstudien sind nämlich überwiegend männlich, jünger und gesünder als diejenigen, die später tatsächlich behandelt werden.

Darum gibt es die Forderung, Patienten stärker in die Planung und Bewertung klinischer Forschung einzubinden. Die Zulassungsbehörden tun sich bisher schwer damit. Mehr Partizipation von Patienten ist deshalb ein Weg, um Therapien zu bewerten. Sie ist am britischen National Institute for Clinical Excellence (NICE) oder am deutschen Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bereits Realität.

Das IQWiG ist derzeit in den Schlagzeilen. Sein Direktor Peter Sawicki muss nämlich auf Druck der Industrie seinen Posten räumen. Was der Gemeinschaft der Versicherten in Deutschland durch das IQWiG bisher erspart blieb und im Gegenzug die Firmen verloren haben, dürfte in die Milliarden gehen. Das 2005 eröffnete Institut und Sawicki als Direktor waren der Pharmabranche von Beginn an ein Dorn im Auge. Lobbyisten erklärten offen, dass sie Sawickis Ablösung betreiben, und Zeitungsredaktionen bekamen vermeintlich belastendes Material zugespielt. Nach dem deutschen Regierungswechsel hat die Branche ihren Willen bekommen.

Die Ablösung des einflussreichsten Vertreters der Evidenz-basierten Medizin in Deutschland wird auch in Salzburg Gesprächsstoff bieten. Experten seines Kalibers, die nicht im Sold der Industrie stehen, sind rar. Namen werden nur hinter vorgehaltener Hand genannt, damit die Chancen, dass das IQWiG weiter von einem Unabhängigen geleitet wird, nicht beschädigt werden. Doch das letzte Wort hat der neue Gesundheitsminister, der Wirtschaftsliberale Philip Rösler.

Kritik unerwünscht

Öffentliche Einrichtungen zur Regulierung von Arzneimitteln starten oft aus einem kritischen Antrieb, doch die ursprünglichen Chefs werden gewöhnlich durch pharmafreundlichere Vertreter abgelöst, konstatierte der englische Gesundheitssoziologe John Abraham bereits 1995. "An der Verwundbarkeit durch die Industrie hat sich nichts geändert", sagte Abraham nun auch dem Standard .

Unter Sawicki hat sich das IQWiG einen internationalen Ruf erworben. Ein für Patienten besonders wertvolles Produkt des Instituts ist die umfassendste, kommerzfreie Onlineplattform für Gesundheit in deutscher Sprache. Ihre streng auf Evidenz-basierte Medizin zentrierten Inhalte wurden von mehreren Ländern übernommen. Auf dem offiziellen österreichischen Gesundheitsportal, das die Gesundheit Österreich GmbH im Januar vorgestellt hat, sucht man sie bislang vergeblich. (Stefan Löffler, DER STANDARD, Printausgabe, 22.02.2010)