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Die Schnittmenge des Räumlichen: Mit dem VitraHaus in Weil am Rhein setzen Herzog & de Meuron wieder einmal ein Zeichen. Diesmal eines des Wohnens. Das beinhaltet Satteldach, Parkettboden und Fiberglasluster im Freien.

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Du wohnst nicht mehr, du lebst.

Das Ding ist nicht einmal noch eröffnet, denn das passiert erst übermorgen, schon hat es einen Spitznamen. Die regionalen Tageszeitungen tauften es schlichtweg "die Särge".

Oder aber: Zwölf dunkelgraue Kisten, wahnwitzig übereinander gestapelt, als hätte jemand beim virtuellen Aufbau von Sim-City unabsichtlich die falsche Taste gedrückt, stehen direkt am Straßenrand und sorgen bei den Autofahrern für ruckartig verdrehte Hälse.

Man könnte aber auch sagen: Einfamilienhaus mit Satteldach. Mal schmäler, mal breiter. Mal steiler, mal flacher. Hochgehievt aufs Förderband, anschließend hineingedrückt in die Strangpresse, am Ende zerhackt zu 40 Meter langen Stücken.

Die Assoziationen gehen einem nicht aus. Es gibt sie noch und nöcher. Und genau das ist die Qualität des neuen Schaugebäudes, in dem das Schweizer Traditionsunternehmen Vitra die Möbel seiner Home-Collection inszeniert und für die Öffentlichkeit zugänglich macht.

Die Architekten hinter diesem abartig genialen Wurf: Herzog & de Meuron. Damit verzichtete der Möbel-Zampano und Vitra-Chef Rolf Fehlbaum erstmals in der Geschichte seines Unternehmenscampus in Weil am Rhein nicht nur auf die großen Architektennamen jenseits des europäischen Festlandes, sondern wurde auch noch fündig vor der eigenen Haustür – in Basel.

"In meinem früheren Kulturverständnis waren Jacques Herzog und Pierre de Meuron sehr gute regionale Architekten" , sagt Fehlbaum im Gespräch mit dem Standard. "Das war schön und gut, passte mir aber überhaupt nicht ins Konzept einer internationalen Vitra-Zone, die ich hier aufbauen wollte. Ich glaube, ich habe erst viel zu spät begriffen, nämlich irgendwann in den Neunzigerjahren, dass die beiden längst schon weltweit tätig waren."

Konstante Form fürs Wohnen

Es wurde nachgeholt, was nachzuholen war. Kommenden Montag, den 22. Februar, wird das so genannte VitraHaus eröffnet und steht in Zukunft all jenen offen, die einen Blick darauf werfen möchten, wie man in einem Wohnzimmer, in einer Küche, in einem Arbeitszimmer voller hübscher Vitra-Möbel wohnen kann und wohnen soll, wenn das Portemonnaie es auch will.

Ein Haus also. "Das ist eine sehr konstante Form fürs Wohnen" , erklärt Jacques Herzog. "Manchmal ist es tatsächlich ganz einfach. Es gibt eine schnelle Skizze für das Konzept, und wenn man Glück hat, erweist es sich als tragfähig. Das war hier der Fall."

Die Tragfähigkeit wurde beim Wort genommen. Gebaut aus 25 Zentimeter dicken Betonwänden wurden zwölf Häuser, wie man sie aus dem Bilderbuch kennt, ineinander gekeilt und übereinander getürmt. "Plastische Verbundenheit" nennt sich das im Fachjargon der beiden Schweizer. Die Querschnitte der einzelnen Baukörper – Archetypen des mitteleuropäischen Bauens schlechthin – sind nicht jedes Mal gleich, sondern variieren von Form zu Form.

Verknotung dreier Länder

Die Wohnhäuser im Dreiländereck von Deutschland, Frankreich und der Schweiz, heißt es im Pressetext so schön, hätten Pate gestanden in der Findung der richtigen Größe und Proportion. Selbst wenn man sich wünschen darf, dass es zwei Männer dieses Kalibers nicht nötig haben, auf eine derartige Plattitüde zurückzugreifen, ist das Bild der trinationalen Verknotung in einem einzigen Bauwerk ein recht hübsches und stimmiges, auf jeden Fall ein sehr verkaufstaugliches Bild.

Auch im Innenraum wurde das Thema aufgegriffen. Der Bauherr steht in einem der vielen schwebenden, bis zu 15 Meter weit auskragenden Häuser, blickt in die Landschaft und sagt: "Die Ausblicke wurden ganz bewusst gesetzt und nehmen Bezug auf die grenzübergreifende Metroregion Basel. Je nach dem, wo ich gerade stehe, schaue ich in das eine oder in das andere Land."

Freilich, mit den eigenen vier Wänden hat dieser Habitus des Wohnens nicht viel zu tun. Wer ist schon in der glücklichen Lage, auf einem Designklassiker wie dem Lounge-Chair von Eames sitzen und dabei in drei Länder gleichzeitig blicken zu können? "Das ist ein angenehmer visueller Nebeneffekt" , stellt Fehlbaum fest, "ich glaube, man fühlt sich hier auf Anhieb wohl."

Das einzige, was einem in diesem Haus abhanden kommt (abgesehen von der Zeit), ist die Orientierung. Spätestens nach dem dritten Dreh kann keiner mehr sagen, welche Sprache hinter welchem Fenster gesprochen wird. Ungeahnte Schluchten zwischen oben und unten, wilde Verschneidungen zwischen da und dort, und nicht zuletzt eine hochwertige Materialverarbeitung von sägerauem Holz und glatt poliertem Stucco-Lustro, wie sie in Österreich ihresgleichen sucht, lenken vom eigentlichen Geschehen ab.

Fragt sich nur: Was geschieht denn nur in diesem 21 Meter hohen und knapp 60 Meter breiten Häuserhaufen an der Straße? "Etwas Neues" , sagt die freundliche Guide-Dame im ebenso freundlichen, artig einstudiertem CI-Wording des Unternehmens. Ihr Arbeitgeber ergänzt: "Machen Sie sich doch Ihr eigenes Bild. Die Leute können dieses Gebäude interpretieren, wie sie möchten. Nur der neue Nickname ist nicht unbedingt mein Favorit, wie Sie sich vielleicht vorstellen können. Ich habe noch nie einen Sarg gesehen, der oben eine Spitze hat." (Wojciech Czaja, ALBUM – DER STANDARD/Printausgabe, 20./21.02.2010)