Kanone in der Zitadelle von Sagres. Hier setzte Dom Henrique den Auftakt für Portugals Zeitalter der Seefahrt.

Foto: Jan Marot

Es hat etwas Erhabenes, auf dem Cabo de São Vicente zu stehen und Richtung Westen zu blicken. Umringt von zwei Meeren: dem vor einem liegenden, schier endlosen, vom Winterwetter etwas vergrämten Atlantik und dem Blumenmeer, sattgrün grundiert, und getupft mit den ersten Blüten.

Jahrhunderte reichte der Horizont der Gedankenwelt vor hier bis zu jener fantastischen Erdkante, von der Schiffe hinunterkippten. Das Kap war das Ende der Welt, bis über die Ära des Infanten Heinrich dem Seefahrer (1394-1460) hinaus.

In Richtung des Sonnenuntergangs - der dem Landstrich Südportugals seinen Namen gab - erstreckt sich nur der Ozean. Die Herrscher des muslimischen Al-Andalus waren es, die das Ende Europas al-gharb-al-Andalus - der Westen Andalusiens - nannten. Dort, wo wörtlich "die Sonne untergeht". Von ihrem Vermächtnis zeugt nicht einzig die einst "schönste Stadt des muslimischen Spaniens", das noch von einer maurischen Festungsruine überragte Silves, Hauptstadt des Emirates. Stumme Zeugen, dass Menschen hier an dem kontrastreichen, üppig wie kargen Land schon Jahrtausende Gefallen fanden, sind verteilt an markanten Erhebungen stehende Menhire.

Gleich vis-à-vis vom Cabo de São Vincente liegt mit der Halbinsel von Sagres ein weiteres Extrem Europas. In der windumpeitschten Zitadelle soll Dom Henrique, Stammvater der Entdecker - ohne selbst viel herumgekommen zu sein -, mit einer legendären Navigations-Akademie den Auftakt für Portugals Zeitalter der Seefahrt gelegt haben.

Längst widerlegten Historiker diese These. Solch eine „Schule", sie habe nie existiert. Nur die überdimensionale Rosa dos Ventos, eine Windrose, die 1921 hier entdeckt wurde, hat man auf das 15. Jahrhundert und in die Lebenszeit des Visionärs datiert. Ihr Nutzen ist unklar. Sonnenuhr oder Navigationshilfe, darüber scheiden sich nach wie vor die Geister. Doch es war Heinrich, der den Auftakt zur Epoche der globalen Eroberung vom Westend Europas und zum Aufstieg Portugals zur Weltmacht markierte.

Eine Boom-Ära, deren stummer Zeuge für die mit der Expansion einhergehenden Grausamkeiten der Arkadenhof des alten Zollhauses vom nahegelegenen Lagos ist. 1444 eröffnet, war hier der älteste Sklavenmarkt der Alten Welt. In den Mauern, wo einst Vermögen mit Menschenhandel erwirtschaftet wurden, ist nun eine Kunsthandwerks-Galerie untergebracht.

Konträr zu den Seeleuten auf den Karavellen, ein zur Zeit Heinrichs revolutionärer Schiffstypus, die erst den Weg zu neuen Reichtümern und ein halbes Jahrhundert später in die "Neue Welt" eröffnen sollten, sind die Wege heutiger Algarve-Entdeckungsreisenden oft bereits das Ziel. 

Wehrturm-Ruinen und wehrhafte Klöster säumen die Routen. So auch das Forte de Almádena - doch lohnen die Aussicht und die umliegenden Strände die holprige Anfahrt über eine kilometerlange Schotterpiste. Und eines ist gewiss, die Sonne versinkt hier in nahezu jeder Bucht, weil ja westwärts weisend, blutrot im Meer.

Langgezogene und einsam gelegene Buchten umsäumen steile Klippen oder gar wie Giganten anmutende Felsformationen. Etwa jene an der im Frühjahr noch verwaisten eigentlichen Sonnenjünger-Magneten bei Portimão, der Praia da Rocha, dem Felsenstrand nahe dem Forte de Santa Catarina. Im weichen Licht scheinen sich die Küsten an meditativer Ruhe zu ergötzen und sind so feinsandig wie menschenleer.

Mehr Abgeschiedenheit findet sich nur noch per Insel-Hopping in Kleinstdimensionen. Vom Hauptort der Region Faro aus zum Inselstrand der Praia da Ilha da Culatra oder in den Lagunennationalpark Ria Formosa zur Ilha da Armona bringen einen regelmäßig Fährmänner in die Ausweichidylle einsamer Eilande.

So einladend die Wellen auch brechen mögen. Obacht sei vor dem überhasteten Sprung ins Blau geboten: Der Atlantik ist bis in den späten Mai hinein auf Kneipp-Temperatur und bleibt ganz Hartgesottenen vorbehalten. (Jan Marot/DER STANDARD/Printausgabe/20./21.2.2010)