Auf der Flucht, noch bevor es Verfolger gibt, und misstrauisch gegenüber jeglicher Form von Nähe: Marathon-Bankräuber Rettenberger (Andreas Lust) und seine einstige Freundin (Franziska Weisz) in "Der Räuber".

Foto: Berlinale

Koji Wakamatsus "Caterpillar" vermag dagegen nur mäßig zu überzeugen.

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Das Problem des Wettbewerbs der Berlinale liegt in seiner zu großen Offenheit zur Mitte. Konsensware gibt es am Markt ohnehin zuhauf; Filme, die den Mut aufbringen, ihre eigene Form konsequent zu Ende zu denken und dabei auf eine eigene Sicht der Welt zu beharren, sind dagegen in der Minderheit. Die deutsch-österreichische Produktion Der Räuber von Benjamin Heisenberg (Schläfer) bildet dahingehend eine rühmliche Ausnahme:

Den erstaunlichen Fall des Ende der 1980er-Jahre zu Berühmtheit gelangten Bankräubers Johann Kastenberger alias "Pumpgun Ronnie" , der schon den Autor Martin Prinz zum Roman Der Räuber inspirierte, bildet darin die Grundlage für die Studie eines radikalen Außenseiters. Dessen Rätselhaftigkeit und der Verzicht auf gängige psychologische Formeln ist der Trumpf dieses kühl durchdeklinierten Films.

Was ist das für ein Mensch, der nur noch rennt? Heisenberg gewinnt seinem Protagonisten gleichsam in der Laufbewegung die wesentlichen Eigenschaften ab. Schweigsam, diszipliniert und eben immer nur mit sich selbst ringend verkörpert ihn der Wiener Schauspieler Andreas Lust, mit einer beeindruckenden Undurchdringlichkeit, einer Härte, hinter der sich auch vage Traurigkeit verbirgt. Was den aus dem Gefängnis Entlassenen antreibt, bleibt dennoch ein Geheimnis. Seine Kondition kommt ihm auch bei seiner zweiten "Leidenschaft" zugute: Er raubt Banken aus, mit Pumpgun und Reagan-Maske, und flüchtet mit der Beute querfeldein.

Die Konzentration auf die Bewegungsformel hebt die existenzielle Verfasstheit hervor. Es geht weniger um die Spannung, ob sich Rettenberger, wie der Film-Räuber heißt, verzettelt - wobei diese Spannung keineswegs gering ist. Wesentlicher aber ist, dass dieser Mann schon auf der Flucht ist, bevor er irgendwelche Verfolger hat.

Gefühl für Dimensionen

Auch gegenüber seiner Ex-Freundin (Franziska Weisz), bei der er Quartier bezieht, gibt er nur widerwillig Nähe preis: "Das, was ich mache, hat mit dem, was du Leben nennst, nichts zu tun." Mit großer inszenatorischer Kompetenz baut Heisenberg diese grundlegende Distanz zwischen Rettenberger und den anderen aus: Er gibt uns ein Gefühl für Dimensionen. Der Weg wird immer weiter, führt aus der Stadt, ins Land, auf den Berg. Ein Hetzjagd, die durch ihre schiere Dauer überwältigt.

Brisantes erwarten durfte man sich auch vom Japaner Koji Wakamatsu, vielleicht der einzigen Wild Card im diesjährigen Wettbewerb. Der Veteran des "pink eiga", eines zwischen Erotik und Kunstanspruch changierenden Subgenres, liebt das Transgressive. In Caterpillar nimmt er sich den japanischen Militarismus vor und warnt mit einem besonders drastischen Beispiel vor unbedingtem Gehorsam: Kurokawa kehrt 1940 aus dem Krieg zwar hochdekoriert, aber ohne Arme und Beine zurück. Ein Torso, der nicht sprechen kann, aber bald anders klarmacht, dass er durchaus noch elementare Bedürfnisse hat.

Mit kontrapunktischer Gelassenheit zu dieser bizarren Konstellation erzählt Wakamatsu von der letzten Front, die diesem widerlichen Affektbündel noch bleibt: jener im eigenen Haus. Mit den Zähnen zerrt er am Kleid seiner Frau, wenn er sexuell befriedigt werden möchte. Triebe und Traumata sind alles, was ihm blieb. Im Dorf verehrt man den Heimkehrer, den seine Frau im Schubkarren wie ein groteske Statue herumführt, als Kriegsgott - doch Rückblenden zeigen ihn als Vergewaltiger, der sich im Einsatz an mehreren Frauen vergangen hat und davor an seiner eigenen.

Die Botschaften dieses Films sind somit recht offensichtlich. Der Krieg bringt monströse Kreaturen hervor, und die patriotische Überhöhung von Disziplin und Plicht wirkt sich auf allen gesellschaftlichen Ebenen fatal aus. Wakamatsu streut Wochenschau-Bilder ein, die bis zum Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki reichen, der ultimativen Konsequenz dieser Ideologie.

Die Unentschiedenheit zwischen Exploitation und ernsthafter Auseinandersetzung machen den Film allerdings auch angreifbar. Nicht an jeder Stelle ist man sich hier sicher, ob es noch um ein Argument - oder nur noch um eine Geste der Provokation geht. (Dominik Kamalzadeh aus Berlin, DER STANDARD/Printausgabe, 17.02.2010)