Unerwartet reiche Chemie: Fragment des Murchison-Meteoriten (rechts) und Teilchen davon im Teströhrchen (links).

Foto: US Department of Energy

In dem Meteoriten, der zu den so genannten kohligen Chondriten zählt, konnten Forscher im Jahr 2004 zum ersten Mal Aminosäuren extraterrestrischen Ursprungs nachweisen.

Foto: The National Museum of Natural History (Washington)

Washington/Wien - Es geschah am 28. September 1969 in der Nähe der australischen Stadt Murchison, kurz vor elf am Vormittag. Ein Feuerball am Himmel zerbrach in drei Teile, eine halbe Minute später gab es ein lautes Krachen. In den nächsten Tagen fand man auf einer Fläche von 13 Quadratkilometern Dutzende Meteoritenfragmente mit der Gesamtmasse von mehr als 100 Kilogramm.

Die Einzelteile von Murchison, wie der Meteorit genannt wird, gehören zu den best untersuchten Gesteinsbrocken des Planeten. Doch selbst 40 Jahre nach der Entdeckung hält er für die Forschung noch Überraschungen bereit. Das hängt zum einen damit zusammen, dass das Material von Murchison zu den ursprünglichsten Stoffen unseres Sonnensystems gehört, ja sogar noch älter ist als dieses.

Unser Sonnensystem entstand vor rund 4,56 Milliarden Jahren aus einer Ansammlung von Staubpartikeln, die selbst eine Millionen Jahre lange Reise hinter sich hatten. Sie setzen sich nämlich aus den Überresten explodierter und zerfallener Sterne zusammen. Und eben genau jene Spuren alten Sternenstaubs fanden kürzlich Forscher des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz in einem Murchison-Brocken.

Das kohlenstoffreiche Material des Meteoriten, der ein so genannter kohliger Chondrit ist, war schon Jahre zuvor aus einem anderen Grund in die Wissenschaftsgeschichte eingegangen: Im Jahr 2004 konnten Forscher bei einer anderen Murchison-Analyse zum ersten Mal Aminosäuren in extraterrestrischem Material nachweisen. Und Aminosäuren wiederum sind die Vorformen von Leben hier auf unserem Planeten. Insgesamt entdeckte man bis dato über 100 verschiedene Aminosäuren, dazu Diaminosäuren, die ebenfalls als Vorläufer des ersten genetischen Materials auf Erden diskutiert werden.

Im Sommer 2008 schließlich berichteten britische Forscher davon, zwei verschiedene sogenannte Nukleinbasen in einem Murchison-Fragment entdeckt zu haben. Diese chemischen Verbindungen sind am Aufbau der Erbgutmoleküle DNA und RA beteiligt. In ihrer Entdeckung sahen die Wissenschafter einen weiteren Beleg für die Annahme, dass Meteoriten entscheidend an der Entstehung von Leben auf der Erde beteiligt waren (Earth and Planetary Science Letters, Bd. 270, S. 130).

Doch das waren noch nicht die letzten Mysterien des australischen Meteoriten: Bei neuen chemischen Analysen von gleich drei Fragmenten stieß ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Philippe Schmitt-Kopplin vom Helmholtz-Zentrum in München auf eine völlig unerwartete Fülle von chemischen Strukturen, wie sie heute im Fachblatt PNAS berichten.

Bei den Untersuchungen mittels neuer Techniken der Massenspektrometrie (an denen auch der Grazer Musikwissenschafter Gerhard Eckel mit sogenannten Sonifikationen beteiligt war) konzentrierte man sich nicht auf mögliche biologische Vorformen, sondern nahm das gesamte chemische Spektrum auf. Und dabei zeigte sich, dass das organische Material von Murchison zehntausende Molekül-Kompositionen und Millionen verschiedener Strukturen aufweist. Und das wiederum lege nahe, dass die außerirdische Chemodiversität sehr viel höher sei im Vergleich zum biologisch und geologisch geprägten "chemischen Raum" hier auf unserem Planeten. (Klaus Taschwer/DER STANDARD, Printausgabe, 16.02.2010)