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Fehlender Durchblick? FDP-Chef Guido Westerwelle will nicht lockerlassen und trotz heftiger Kritik an seinen Aussagen eine "Generaldebatte" über Sozialleistungen des Staates führen.

Foto: Reuters/Tobias Schwarz

"Bleiben Sie forsch und unbeirrt. Deutschland kann das gut brauchen. Leben Sie lang und erfolgreich!" Das postete am Montag ein Fan von Guido Westerwelle auf der Homepage des "Liberalen Instituts". Über derlei Zuspruch dürfte sich der deutsche Außenminister, Vizekanzler und FDP-Chef freuen. Denn im politischen Berlin gerät er mit seinen Aussagen über den Sozialstaat zunehmend in Isolation. Dennoch lässt Westerwelle nicht locker: Er fordert jetzt eine "Generaldebatte im Bundestag" zu diesem Thema.

Begonnen hatte alles mit einem Gastkommentar in der Welt. Da machte sich Westerwelle, kurz nachdem das Bundesverfassungsgericht die Regierung aufgefordert hatte, Sozialleistungen neu (und dadurch aller Voraussicht nach auch höher) zu berechnen, Gedanken über den Sozialstaat. Über eine soziale Mindestabsicherung in Deutschland meinte er: "Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein."

Dies sei "sicherlich weniger der Duktus der Kanzlerin", beschied daraufhin Regierungssprecherin Sabine Heimbach. Andere Reaktionen sind noch deutlicher. "Diese Sozialhetze ist eines Vizekanzlers und deutschen Außenministers unwürdig", meint Grünen-Fraktionschefin Renate Künast.

Ein "deutscher Haider"

Ralf Stegner, SPD-Chef in Schleswig-Holstein, findet, Westerwelle sei "der Jörg Haider der deutschen Politik". Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler sagt: "Westerwelle verhöhnt zehn Millionen Deutsche, die am Rande der Armut leben." Und er gibt dem FDP-Chef auch Nachhilfe in Geschichte. Die spätrömische Dekadenz habe unter anderem darin bestanden, dass Kaiser Caligula einen Esel zum Konsul ernannt habe. Geißler: "Insofern stimmt Westerwelles Vergleich. Vor 100 Tagen ist ein Esel Außenminister geworden." Doch Westerwelle lässt nicht locker und betont: "Wer arbeitet, muss mehr haben als derjenige, der nicht arbeitet. Das muss man in Deutschland noch sagen dürfen. Alles andere ist Sozialismus."

Auch in der FDP grummelt es mittlerweile hörbar. Parteivize Andreas Pinkwart, der im Mai in Nordrhein-Westfalen Landtagswahlen zu schlagen hat, fordert Westerwelle auf, von seiner Macht abzugeben: "Die FDP muss mehr Gesichter in den Vordergrund stellen." Neben Westerwelle sollen die Bundesminister der FDP, aber auch der neue Generalsekretär Christian Lindner eine stärkere Rolle spielen. Der Vizechefin der FDP-Fraktion, Ulrike Flach, missfällt Westerwelles Machtfülle ebenfalls: "Die Oppositionszeit, in der wir uns auf eine Person konzentrieren mussten, ist vorbei."

Angesichts dieser Debatten und der massiven Verluste in den Umfragen (von 15 auf acht Prozent in drei Monaten), wird der Parteitag der FDP im April mit Spannung erwartet. Da will sich Westerwelle wieder zur Wahl stellen. (Birgit Baumann aus Berlin/DER STANDARD, Printausgabe, 16.2.2010)