Wien - Es komme darauf an, "im richtigen Moment zu verbürgerlichen" , meint ein Student mit Namen Freder in Ferdinand Bruckners Tragödie Krankheit der Jugend, uraufgeführt 1926. Kein unzeitgemäßer Satz; Verbürgerlichung ist unter Heranwachsenden kein Schreckgespenst mehr. Die Jugend hat privat ihren Frieden mit angepassten Lebensformen geschlossen und beschäftigt sich lieber mit der Karriere.

Die Panik also, von der sieben junge Leute in einer Wohngemeinschaft anno 1923 befallen sind, verlangt heute nach einer deutlich gemachten Grundlage. So ganz klar ist Regisseur Peter Raffalt diese aber nicht. Zu sagen, es gäbe keine andere Option als entweder Verbürgerlichung oder Selbstmord, ist heute eher pathetische Koketterie.

Peter Raffalt löst das Problem mit einer Riege großartiger Jungdarsteller (aus dem neuen Praxisjahr "Junge Burg" ): Er leitet sie zu überaus expressionistischen Darstellungen an, um ganz einfach All-time-Orientierungsproblemen einer wo und wann auch immer jungen Generation Nachdruck zu verleihen.

Da ist die Zentralfigur Marie (leuchtend: Viola Novak), eine standhafte junge Frau, die einer wirtschaftlich und moralisch verrotteten Gesellschaft eine Perspektive abzuringen versucht. Mit sinnbildlich aufgekrempelten Ärmeln hat sie sich - auf dem mit Vertiefungen versehenen mittig stehenden Bühnenpodest im Vestibül (Bühne und Kostüme: Vincent Mesnaritsch) - ein kleines Nest gebaut. Sie hat frisch in Medizin promoviert und nebenher sinnlos ins private Glück investiert: Ihr Angehimmelter, der miese Poet Petrell (Marco Sykora), stellt lieber der Irene (Barbara Juch) nach.

Und damit bei diesen Selbstversuchen an eigen Leib und Leben auch alles schiefgeht, intrigiert der machtbewusste Freder (Simon Harlan), ein anstandsloser Dandy und Veronal-Dealer, hinterher. Die heißblütigen Manöver dieser Jugend fährt der Regisseur jeweils mit demonstrativer Physis hoch und löscht sie danach mit (von Jakob Ehrlich) wunderschön gesungenem, melancholischem Liedgut ab (Musik: Julia Klomfaß).

Am Ende ist der Kampf verlustreich verloren: Die verlassene Mitbewohnerin Desiree (toll: Alice Peterhans) wird sich umgebracht haben, das Hausmädchen Lucy (Sarah Scharl) landet am Strich. Marie erfleht für sich den Tod.

Das bleibt in dieser Inszenierung alles mordsdick aufgetragen. Einzig den pulsierenden Schauspielern glaubt man das gern. Die Burgtheater-"Spieltriebe" haben somit ihre würdigen Nachfolger. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD/Printausagabe, 16.02.2010)