Helsinki - Anfang der 1990er-Jahre schlitterte Finnland im Sog der Wende in die schwerste Wirtschaftskrise seiner Geschichte. Der plötzliche Wegfall des Wirtschaftspartners Sowjetunion ließ 300.000 Menschen innerhalb kurzer Zeit arbeitslos werden. Das traf jene besonders hart, die im Vertrauen auf ein Anhalten des Aufschwungs der 1980er-Jahre großzügig Schulden gemacht hatten.

Damals waren Menschen quasi über Nacht von Kunden zu Leibeigenen ihrer Banken geworden. 1993 folgte daher ein Gesetz zur Einrichtung eines staatlichen Beratungsnetzes. Privatpersonen wurde es erstmals möglich, mithilfe von bindenden Rückzahlungsprogrammen und Sozialkrediten (maximal 15.000 Euro und zu Niedrigzinsen: zwölf Monate Euribor) finanziell wieder auf die Beine zu kommen.

Pekka Mäki und Juha Neuvonen sind als staatliche Schuldnerberater Pioniere der ersten Stunde. Seit 17 Jahren erstellen sie in der größten Beratungsstelle Finnlands im Helsinkier Arbeiterviertel Kallio persönliche Entschuldungspläne.

Mäki und Neuvonen rechnen für die kommenden Monate und Jahre mit einem neuerlichen Ansturm: "Es fängt wieder an", sagt Neuvonen. "Es kommen jetzt sehr viele unserer alten Kunden zurück, weil sie ihre bestehenden Schuldentilgungsprogramme nicht bewältigen." Gleichzeitig wachse die Zahl der Neukunden.

Sofortkredit mit SMS

Als Folge der exorbitanten Wohnungskosten stehen die Finnen heute in der Kreide wie nie zuvor: Die Verschuldung der Haushalte betrug im Jahr 2008 110 Prozent. Zum Vergleich: Selbst 1989, dem Jahr vor der letzten großen Krise, waren die Haushalte "nur" zu 87 Prozent verschuldet.

Ein spezielles Problem stellen nach Meinung der beiden Schuldnerberater die sogenannten SMS- und Sofortkredite dar. Diese sind extrem hoch verzinst - "typischerweise 500-600 Prozent im Jahr, aber das ist den meisten nicht klar", sagt Beratungsstellenleiter Mäki. Vor allem die Sofortkredite führen dazu, dass manche Kunden über 200 verschiedene Posten zurückzahlen müssen: "Dadurch wird das Erstellen des Rückzahlungsprogramms zu einer sehr kniffligen Sache."

Solche Kreditgeschäfte werden oft nächtens mit bereits gepfändeten Personen und sogar Minderjährigen gemacht: "Von rund 60 Schnellkredit-Anbietern haben sich nur vier oder fünf zur Einhaltung ethischer Regeln verpflichtet", erläutert Neuvonen.

Damit ist wieder die Regierung am Zug. Noch heuer ist ein Gesetz in Aussicht, das die Gewährung von Sofortkrediten einer Reihe von Einschränkungen unterwirft. Über die genauen Regeln herrscht aber noch politisches Tauziehen. Dennoch ist Neuvonen optimistisch: "Wir haben seit 1993 zumindest ein Gesetz - es gibt in Form des Sozialkredits und der bindenden Tilgungspläne immer irgendeine Hoffnung für die Leute. Und das ist in dieser Form vermutlich einzigartig in Europa - oder sogar auf der ganzen Welt." (Andreas Stangl/DER STANDARD, Printausgabe, 13./14. Februar 2010)