"Viele Manager geraten in eine gesellschaftliche Rolle, der sie nicht gewachsen sind", Martin Suter

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Mit Stefan Gmünder sprach er über seinen neuen Roman "Der Koch", Geldvermehrung und Kulturlosigkeit.

Wien – In der Schweiz diskutieren sie gerade, ob es so etwas schon einmal gegeben hat. Drei Wochen nach dem Verkaufsstart (Erstauflage 100.000 Exemplare) steht Martin Suters neuer Roman Der Koch (Diogenes-Verlag) an der Spitze der österreichischen, deutschen und Schweizer Bestsellerlisten. Die Hauptfigur des mittlerweile in der vierten Auflage ausgelieferten Buches ist Maravan, ein Asylwerber aus Sri Lanka, der in der Schweiz als Küchenhilfe arbeitet. Gemeinsam mit einer Kollegin gründet der begnadete Koch die Firma "Love Food" , die sich auf erotisierende Menus spezialisiert. Allerdings geht es in dem in den Jahren 2008 und 2009 handelnden Buch nicht nur um den Verzehr aphrodisischer Speisen. Weniger bekömmlich sind die weiteren Stränge: Waffenhandel, Bürgerkrieg in Sri Lanka und "Manager" , die trotz Finanzkrise aus alldem Profite schlagen.

Standard: Maravan ist nicht bereit, für Geld alles zu tun.

Suter: Es geht in diesem Buch auf verschiedenen Ebenen darum, wie viel man für Geld zu tun bereit ist. Fast alle Figuren sind in irgendeiner Form mit dieser Frage konfrontiert. Ich habe allerdings, wenn ich einen Roman schreibe, keine moralischen Vorsätze. Das Thema eines Buches sucht sich seinen Weg selbst. Es war ein künstlerischer oder struktureller Entscheid, die Geschichte vor dem Hintergrund der Aktualität, also des Krieges in Sri Lanka, der Finanzkrise und des internationalen Waffenhandels spielen zu lassen.

Standard: Ihre Hauptfigur bemüht sich, anständig zu bleiben.

Suter: Und er besitzt eine Vorstellung davon, was dies bedeutet. Er hat einen anderen kulturellen Hintergrund und ist mit den Fragen konfrontiert: Was darf ich tun? Darf ich in dieser Situation und kulturellen Umgebung andere Maßstäbe an mich anwenden?

Standard: Spielt nicht auch sein Glaube eine große Rolle?

Suter: Der hat mit seiner Kultur zu tun. Er ist Tamile und daher Hindu. Die große Mehrheit der Tamilen sind Hindus. Für die meisten Tamilen ist es selbstverständlich, gläubig und in das große Netz der himmlischen Mächte eingebunden zu sein. Wenn ich einen Roman schreibe, überlege ich mir immer: Was wäre, wenn? Hier lautet die Musterfrage: Was wäre, wenn jemand eine Kunst beherrscht, mit der er Menschen beeinflussen kann, und diese Fähigkeit würde von anderen für ihre Zwecke missbraucht? Es ging nun darum, eine besondere Fähigkeit, die der Held haben muss, zu finden und ich kam vom Zauberer über den Hypnotiseur zum Koch.

Standard: Sie haben das Buch Ihrem dreijährigen Sohn gewidmet, der im vergangenen Jahr unter tragischen Umständen gestorben ist.

Suter: Man ist, wie soll ich sagen, auf so etwas nicht gefasst. Das Leben geht zwar weiter, es geht schon wegen unserer Tochter weiter. Es wäre unfair ihr gegenüber, sich dem Alkohol hinzugeben, depressiv oder suizidal zu werden. Sie hilft mir und meiner Frau dabei und zwingt uns dazu, dass es weitergeht. Verarbeiten? Ich weiß nicht, wie man so etwas verarbeitet. Ich glaube auch nicht, dass es eine Wunde ist, die heilt. Es ist etwas, das – jedenfalls bis heute – geblieben ist. Ich glaube, nichts wird mehr so sein wie früher. Es gibt eine Zeit davor und eine danach.

Standard: Der Schriftsteller Gerhard Meier sagte, er möge die Literatur, das Schreiben, weil es mit dem Bewusstsein um die eigene Schwäche, der Hinfälligkeit zu tun habe.

Suter: Dieses Bewusstsein trifft, glaube ich, auf alle meine Helden zu. Sie sind selten Handelnde, fast alles passiert ihnen einfach. Es gibt zwar den Punkt, an dem sie sich zu wehren beginnen, aber eigentlich geraten sie in die jeweiligen Situationen immer durch das Leben, das Schicksal.

Standard: Kommen wir zu den Topmanagern, die in diesem Roman eine große Rolle spielen und über die Sie zahlreiche satirische Kolumnen schrieben.

Suter: Die Businessleute sind die Aristokratie unserer Tage, sie haben uns in der Hand. Von ihrer Gnade sind wir bis zu einem gewissen Punkt abhängig. Sie haben die Macht, nicht die Politiker, die es nur mehr braucht, um den Schutt wegzuräumen und zu retten, was es noch zu retten gibt. Ich wundere mich, dass Manager in der Literatur, jedenfalls der deutschsprachigen, nicht eine viel größere Rolle spielen.

Standard: Man wird den Eindruck nicht los, manche Wirtschaftsführer seien unbelehrbar?

Suter: Diese Leute sind einfach nur sehr spezialisiert, so wie das Bildungswesen heute immer spezialisierter wird. Man geht nicht mehr in die Breite, es besteht die Gefahr, dass wir Fachidioten ausbilden. Es gibt zahlreiche Menschen, die durch das viele Geld, das sie verdienen, in eine gesellschaftliche Rolle geraten, der sie nicht gewachsen sind. Die Steifheit, die Unbeholfenheit, die diese Leute auf dem gesellschaftlichen Parkett an den Tag legen, tut einem fast leid. Weil sie gut im Geldvermehren sind, wurden sie unglaublich reich. Plötzlich wohnten sie in den Seevillen der Kulturstädte. Und anstatt dass sie sich die Extravaganz leisteten, im Zwölfspänner durch die Stadt zu fahren, zogen sie nach Wollerau (Anm.: ein kleiner Ort im Kanton Schwyz) – um Steuern zu sparen.

(DER STANDARD/Printausgabe, 13./14.02.2010)