Die meisten Österreicher verbringen gut ein Drittel ihres Tages mit Arbeit. Der Arbeitsplatz - von der ergonomischen Gestaltung über spezifische berufsbedingte Gesundheitsbeeinträchtigungen bis zum Betriebsklima - beeinflusst in großem Maße unsere Gesundheit. Die enorme Bedeutung der Wirtschaft für die Public Health wurde schon 1997 von der EU in der sogenannten Luxemburger Deklaration festgehalten.

Das große Ziel einer umfassenden betrieblichen Gesundheitsförderung ist auf europäischer Ebene also schon seit mehr als einem Jahrzehnt definiert. Die tägliche Arbeit als Mediziner in den verschiedensten Bereichen zeigt uns aber, dass nach wie vor vielen Unternehmen diese große Verantwortung für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter nur in Teilen bewusst ist. Während die traditionelle Arbeitsmedizin mit dem Fokus auf dem Schutz vor einem Arbeitsunfall oder einer für den jeweiligen Bereich typischen Berufskrankheit heute von keinem Unternehmer mehr infrage gestellt wird, haben wir hinsichtlich der betrieblichen Förderung des ganzheitlichen, vor allem auch psychischen Wohlbefindens der Mitarbeiter noch erheblichen Aufholbedarf. Die betriebliche Gesundheitsförderung muss noch viel stärker in der Verhältnis- und Verhaltensebene im Unternehmen ansetzen, in der es um Vertrauen, Sicherheit und Stabilität geht.

So muss ein wesentliches Augenmerk der modernen Arbeitsmedizin auf der täglichen, häufig systemimmanenten psychischen Belastung der Mitarbeiter liegen. Laut WHO leiden rund 800.000 Österreicher an Depression, besonders häufig als Folge von anhaltender Überbelastung im Beruf. Das Burn-out-Syndrom wurde zur Berufskrankheit Nummer eins - eine alarmierende Entwicklung, wenn auch der Begriff leider inflationär und undifferenziert verwendet wird.

Jedem Unternehmer, der die Verantwortung für die psychische Gesundheit seiner Belegschaft - mit diesen Trends konfrontiert - gerne in den Bereich des Einzelnen abschiebt, sei gesagt, dass derartige Erkrankungen niemals nur den einen Mitarbeiter selbst betreffen, sondern nachhaltig negative Auswirkungen auf das gesamte Team haben. Psychischen Erkrankungen ist seitens des Arbeitgebers schon aus rein wirtschaftlichen Überlegungen heraus bestmöglich vorzubeugen. Wichtige Voraussetzung ist dabei das arbeitspsychologische Training all jener Mitarbeiter, die mit Personalagenden betraut sind.

Auch mit der vielbeschworenen Work-Life-Balance liegt mehr Verantwortung bei den Unternehmen, als viele Wirtschaftsvertreter auf sich nehmen möchten: Die Qualität unseres Zusammenlebens und die Zukunft unserer Gesellschaft sind längst nicht mehr vorrangig eine politische Verantwortung - vielmehr hat die Wirtschaft hier die Hebel in der Hand.

Sie entscheidet, wie unser Lebensstil sich weiterentwickelt, ob unsere Familienkultur erhalten werden kann und wie es um die Gesundheit unserer Gesellschaft bestellt sein wird. (*Wolfgang Routil, DER STANDARD, Printausgabe, 13./14.2.2010)