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Cohn-Bendit zu regelmäßigen EU-kritischen Äußerungen aus den Mitgliedsländern: "Ich habe die Faxen dicke, sowohl von Österreich als auch von Großbritannien. Dieses Gerede, ohne dass es etwas kostet, ist überflüssig."

Foto: AP/Francois Mori

Aus europäischer Sicht war es eine turbulente Woche. Am Dienstag wurde die neue EU-Kommission gewählt, am Mittwoch brannten die Fahnen der Europäischen Union auf den Straßen von Athen und am Donnerstag bot das Europaparlament mit der Ablehnung des SWIFT-Abkommens den USA und ihrem eigenen Ministerrat die Stirn. Der Vorsitzende der Fraktion der Grünen im Europäischen Parlament, Daniel Cohn-Bendit, erklärt im derStandard.at-Interview, warum er gegen die neue EU-Kommission gestimmt hat, welche Vorbehalte er gegen die EU-Außenministerin Catherine Ashton hat und dass mit der Ablehnung des SWIFT-Abkommens vor allem ein Zeichen gesetzt werden sollte. Er kritisiert die lange Untätigkeit der EU im Fall Griechenland und hat ein Angebot an alle EU-Gegner in den Mitgliedsländer: Ein Referendum über den Austritt. "Das können sie ja jetzt. Wir haben Lissabon."

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derStandard.at: Am Dienstag hat das EU-Parlament die 27 neuen Kommissare gewählt. Der Eindruck überwiegt, die Posten als EU-Kommissäre werden nach eher nach politischer Opportunität verteilt. Politiker kommen in Ressorts, für die sie gar nicht die Expertise haben?

Cohn-Bendit: Und ich frage zurück: Sprechen Sie jetzt auch vom österreichischen Vorschlag?

derStandard.at: Die Nominierung von Johannes Hahn zum EU-Kommissar und sein Ressort haben schon Erstaunen hervorgerufen. Aber das trifft auch auf Nominierungen aus anderen Ländern zu, wie beispielsweise Deutschland.

Cohn-Bendit: Sie meinen Herrn Öttinger. Na ja, wir wollten einem Menschen die Möglichkeit geben, Englisch zu lernen. Die Bundesregierung ist eine soziale Einrichtung.

derStandard.at: Im Ernst. Wie sehen Sie die Problematik, dass dort Kommissare eingesetzt wurden, die auf den ersten Blick nicht dafür geeignet scheinen?

Cohn-Bendit: Zunächst: Der erste Blick kann trügen. Was mir bei den Anhörungen aber aufgefallen ist, dass man bei vielen Kandidaten keine Vision und keinen Willen bemerkt hat und auch nicht, was die konkreten Punkte sind, die sie in ihrem Bereich durchsetzen wollen. Diese Plattitüden sind das Erschreckende. Ich verlange nicht, dass sie wollen sollen, was ich will. Aber ich verlange, dass sie überhaupt irgendetwas wollen.

derStandard.at: Sie haben Ihre Ablehnung der Kommission damit begründet, dass diese nichts gegen die wirtschaftliche Führung Deutschlands sagt, nichts gegen die hohen Verteidigungsausgaben der Länder...

Cohn-Bendit: Ich habe zuerst gesagt, warum wir dagegen sind. Aber ich habe zweitens gesagt: Sie wissen ja, dass wir dagegen sind, aber wenn sie dies, dies und jenes machen, dann haben sie uns auf ihrer Seite und wir werden die Kommission unterstützen.

derStandard.at: Gut, aber bleiben wir bei den Kritikpunkten.

Cohn-Bendit: Wir haben eine Kritik an Frau Ashton über ihre Qualifikation und ihre politische Ausrichtung. Während des ganzen langen Prozesses der Gestaltung des Lissabon-Vertrages gab es einen Streit über die Außenpolitik. Großbritannien vertrat die Ansicht, es gäbe keine europäische Außenpolitik. Länder wie Frankreich und Deutschland sagen dagegen, dass es die sehr wohl gäbe. Jetzt haben sie als erste Außenministerin eine Person benannt, die aus einem Land und einer Partei kommt, die sagt, es gibt keine gemeinsame Außenpolitik. Das ist nicht nachvollziehbar.

derStandard.at: Das heißt, Sie vermissen bei Ihr eine Legitimierung und eine Identifikation mit ihrem Posten?

Cohn-Bendit: Ja, Frau Ashton ist mehr in London als in Brüssel und wird im Grunde genommen vom Foreign Office ihres Landes gefüttert. Also von einer politischen Administration, die gegen eine europäische Außenpolitik ist. Das verstehe wer will.

derStandard.at: Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle hat auf der Münchner Sicherheitskonferenz den Aufbau einer EU-Armee gefordert. Braucht Europa eine Armee?

Cohn-Bendit: Das ist eines der wenigen Gelegenheiten, bei denen der deutsche Außenminister und FDP-Vorsitzende mal etwas Richtiges gesagt hat. Ja, ich glaube, dass wir in einem post-nationalen Europa auch zu einer europäischen Armee kommen werden, mit einer parlamentarischen Kontrolle. Es ist doch lächerlich, dass 27 Mitgliedsstaaten 27 ähnliche Panzereinheiten haben, die eh nichts nützen. In der Welt von heute sind die Funktionen von Armeen andere, als sie es im 19. und 20. Jahrhundert waren. Dem muss man Rechnung tragen. Es ist eine uralte Idee, dass zu einem politischen Europa auch eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik gehört.

derStandard.at: Ginge das unter dem Dach der Nato? Oder muss eine europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik außerhalb dieses Bündnisses stattfinden?

Cohn-Bendit: Ich glaube, dass in diesem Prozess der Europäisierung der Sicherheitspolitik auch eine Veränderung der Nato stattfinden wird. Meine Vision ist, dass die Nato sich zu einer Interventionskraft verändert, die den Vereinten Nationen unterworfen ist. Die nordatlantische Verteidigung hat in der Welt von heute auch keinen Sinn mehr. Was wir brauchen ist eine internationale Sicherheitspolitik unter UN-Mandat. Also, eine integrierte europäische Armee und eine Nato, die eigentlich zu einer UN-Interventionsarmee wird.

derStandard.at: Was wahrscheinlich am Widerstand der USA scheitern wird?

Cohn-Bendit: Ja, aber die multilaterale Welt wird sich schnell verändern, weil auch die dominante wirtschaftliche Kraft der Vereinigten Staaten sich verändern wird. Das ist ja eine Vision für Jahrzehnte.

derStandard.at: Heute hat das EU-Parlament das Übergangsabkommen mit den USA zu den SWIFT-Bankdaten abgelehnt. Wie sehr befriedigt es Sie, hier etwas beeinflussen zu können, was die Bürger als sie direkt betreffend wahrnehmen?

Cohn-Bendit: Es ist ein Zeichen von Selbstbewusstsein des Europaparlaments, dieses Übergangsabkommen mit den USA abzulehnen. Damit haben wir Pflöcke und Rahmenbedingungen für ein neues Abkommen gesetzt, was noch mit den USA verhandelt werden soll.

derStandard.at: Die Ablehnung des Übergangsabkommens ist das eine, die Aushandlung eines neuen Abkommens über die SWIFT-Daten das andere. Was soll im neuen Abkommen drin stehen? Wo sind Ihre Grenzen?

Cohn-Bendit: Es müssen einfach die Rechte garantiert werden, die in Europa gelten. Es ist doch absurd: Sie können nicht einfach ein Abkommen machen, mit dem Daten weitergegeben werden, die dann 90 Jahre gespeichert werden. Wo sind wir denn?

derStandard.at: Man liest immer von Druck, der von den USA auf das Parlament und die Abgeordneten ausgeübt wird. Wurden Sie auch schon von Vertretern der USA angerufen?

Cohn-Bendit: Ich würde nicht von Druck sprechen. Die USA haben versucht, ein Abkommen, das sie für richtig halten, zustande zu bekommen. Und dabei haben wir gemerkt, dass es tiefe Unterschiede in den Rechtsinterpretationen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten gibt. Unser Problem ist der Ministerrat. Der Rat hat erst im letzten Augenblick - viel zu spät - eingesehen, dass das Parlament in dieser Frage doch zustimmen muss. Der Rat hat uns in den inhaltlichen Verhandlungen nicht einbezogen und der Rat hat dann gesagt, das nächste Mal wird es besser. Wir aber haben gesagt: Das nächste Mal wird nur dann besser, wenn wir dieses Abkommen ablehnen, damit der Ministerrat in Zukunft weiß, dass er das Parlament in die Verhandlungen einbeziehen muss.

derStandard.at: Die Auseinandersetzung um das SWIFT-Abkommen wird immer wieder als Beispiel für die gestiegene Macht des Parlaments in Folge des Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages angeführt. Wie hat sich durch Lissabon die Arbeit der Parlamentarier verändert?

Cohn-Bendit: Man sollte nicht so tun, als ob jetzt schon alles toll wäre. Mit dem Datum des 11. Februar ist der Lissabon-Vertrag gerade fünf Wochen in Kraft. Das ist erst die zweite Parlamentssitzung nach Lissabon. Die Veränderungen zeigen sich erst im Vollzug. Das Parlament reformiert sich. Die Kommission muss anders agieren, wenn Gesetzesvorlagen dem Parlament zugeteilt werden. Das sind Dinge, deren Auswirkungen sich erst im Verlauf des Jahres zeigen werden.

derStandard.at: Wie sehr hat es Sie denn geschmerzt, dass bei den Protesten in Griechenland am Mittwoch EU-Fahnen zerstört, verbrannt und zerrissen wurden?

Cohn-Bendit: Es gibt immer Wirrköpfe, es gibt Nationalisten. Auch in Griechenland. Das ist nicht mein Problem. Mein Problem ist, dass die EU in dieser Sache völlig neben der Kappe war. Vor vier, fünf Wochen haben alle erzählt, das ist ein Problem Griechenlands, die müssen Reformen machen. Dabei wusste jeder, dass es ein europäisches Problem ist, weil Griechenland nicht nur Mitglied der EU ist, sondern auch der Eurozone. Wir haben fünf Wochen verloren, in denen wir zugelassen haben, dass die Märkte die Schwachstellen des Euroraumes angreifen konnten, anstatt von vornherein zu sagen, wir geben hier eine europäische Antwort, die lautet: Griechenland muss Reformen durchführen.

derStandard.at: Dass Griechenland sparen muss, ist unstrittig. Die Frage ist, wo man ansetzt. Inwieweit hat die EU überhaupt Einfluss darauf, welche Sparmaßnahmen in Griechenland getroffen werden?

Cohn-Bendit: Die EU muss darauf hinwirken, dass dieser verrückte Verteidigungsetat Griechenlands halbiert wird, der jetzt knapp vier Prozent des griechischen BIP beträgt. Im europäischen Durchschnitt sind es 1,5 Prozent. Da hätte Europa längst eingreifen müssen. Es hätte fragen müssen: Was ist das Problem? Das Verhältnis zur Türkei. Für Griechenland gibt es mit der Mitgliedschaft in der EU eine europäische Verteidigungsgarantie. Da braucht es nicht solch eine Armee.

Dann müssen sie das Zypern-Problem angehen und diesen Kindergarten bedrängen, sich endlich zu einer Föderation zu vereinigen. Griechenland muss auch einfach dazu gebracht werden, Steuern einzutreiben. Die zahlen dort alle keine Mehrwertsteuer. Auch in Spanien wissen wir seit Jahren, dass dort eine Immobilienblase gewachsen ist und das eine Monokultur ist. Was haben wir dazu gesagt: Gar nichts.

derStandard.at: Wie kann denn die EU Griechenland jetzt helfen? Mit Drohungen oder mit Finanzhilfen?

Cohn-Bendit: Griechenland muss man helfen, indem man ihnen entweder ein Darlehen gibt oder eine Verschuldung unter horrenden Zinssätzen verhindert, die eine Gesundung der griechischen Wirtschaft unmöglich machen. Europa muss Griechenland Geld zu anderen Zinssätzen zukommen lassen.

derStandard.at: Sie kritisieren immer wieder die Äußerungen von Politikern der EU-Mitgliedsländer, die beispielsweise Volksabstimmungen über wichtige EU-Fragen fordern. Gerade aus Österreich kamen in den vergangenen zwei Jahren immer wieder solche Töne. Sie haben im Sommer 2008 gesagt, wenn Österreich nicht will, dann sollen sie eben ein Referendum über den Austritt abhalten.

Cohn-Bendit: Ja, das können sie ja jetzt. Wir haben Lissabon. Ich habe die Faxen dicke, sowohl von Österreich als auch von Großbritannien. Alle EU-Gegner, die nicht für Lissabon waren, haben ein Rad ab. Denn jetzt haben sie doch die Möglichkeit auszutreten, wenn sie unbedingt wollen. Aber dieses Gerede, ohne dass es etwas kostet, ist überflüssig. Ich sage: Bitte Sozialdemokraten, macht ein Bündnis mit der Kronen Zeitung, macht ein Bündnis mit der ÖVP oder wem auch immer und startet einen Volksentscheid unter dem Titel "Sollen wir in der EU bleiben oder nicht", und dann ab mit der Alpenrepublik in die einsame, herrliche Autonomie.

Niemand soll zu seinem Glück oder zum Gang in die Hölle gezwungen sein. Wenn man Europa als die Hölle betrachtet und in dieser nicht bleiben will, okay. Ich akzeptiere eine demokratische Entscheidung. Aber ich habe diese permanente Drohung und dieses permanente Ausbremsen satt. Das Gleiche sage ich auch zu David Cameron (Konservativer Oppositionsführer in Großbritannien, Anm.). Die Österreicher sind erwachsene Menschen, die Goldmedaillen im Skifliegen und Skifahren gewinnen können. Die fast Opel gekauft hätten. Alles wunderbar. Aber wenn sie es wollen, ab in die Autonomie.

derStandard.at: Um die Grünen ist es in Österreich und Deutschland ruhig geworden. Haben die Grünen europaweit eine Sinnkrise?

Cohn-Bendit: Also bitte! Die Grünen stehen in Deutschland bei 17 Prozent in Umfragen. Ich könnte Sie genauso gut fragen, ob es eine Krise beim Standard gibt. Es gibt eine europaweite neue Herausforderung an die Grünen, klar. Wir sind mit einer ökonomischen, ökologischen und Finanzmarktkrise ungeahnten Ausmaßes konfrontiert. Da können die Grünen nicht sagen, wir wissen alles und das, was wir seit Jahrhunderten sagen, das gilt immer noch. Wir müssen politische Prioritäten anders setzen und neu definieren. Es gibt auch einen Generationswechsel bei den Grünen. Es gibt aber auch Länder wie Frankreich, wo die Grünen schwach waren und es bei den Europawahlen geschafft haben, sich als neue politische Kraft zu stabilisieren. Es gibt eine Besinnungsphase der Grünen Grundpositionen und das finde ich richtig.

derStandard.at: Fanden Sie es klug von Österreichs Grünen, Johannes Voggenhuber bei der Europawahl 2009 nicht mehr ins Rennen zu schicken?

Cohn-Bendit: Ich habe schon einmal gesagt, dass ich das damals nicht klug fand und dafür Prügel bekommen. Rückblickend kann man aber auch fragen, ob es denn klug war von Johannes Voggenhuber nachdem er nicht mehr Listenerster war, auch darauf zu verzichten, als zweiter oder dritter zu kandidieren und über die Vorzugsstimmen zu zeigen, was er kann. Das hätte er ja machen können. Die Verantwortung für diese Fehlentscheidung lastet auf mehreren Schultern und nicht nur auf denen der österreichischen Grünen. (Andreas Bachmann, derStandard.at, 11.2.2010)