Fritz Breuss: Die unterschiedliche Produktivität ist der wahre Stolperstein der Eurozone.

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Standard: Gibt es eine Rechtsgrundlage für eine EU-Hilfsaktion zugunsten Griechenlands?

Breuss: Im Maastricht-Vertrag wurde extra die No-Bailout-Klausel verankert. EU-Staaten und EZB dürfen keine Kredite geben. Vertraglich sind die Hände total gebunden.

Standard: Papier ist geduldig.

Breuss: Ja. Die anderen EU-Staaten haben auch ohne Grundlage Sanktionen gegen Österreich verhängt.

Standard: Da wäre noch der Passus, wonach bei außergewöhnlichen Umständen jenseits der Kontrolle der Regierung ein finanzieller Beistand möglich wäre.

Breuss: Das kann man wirklich nicht gelten lassen. Immerhin waren Bilanztricks der vorigen Regierung für die Schieflage verantwortlich. Und der Schuldenstand war auch vor der Finanzkrise über hundert Prozent des BIP. Der Schock ist einfach die Schwindelei mit den Zahlen, der sitzt in der EU-Kommission tief. Daran ist die Finanzkrise nicht schuld. Jetzt großartige Rettungspakete zu schnüren ist weit übertrieben. Griechenland ist weit von einem Staatsbankrott entfernt. Okay, der Euro ist etwas gesunken. Das ist ja gut für unsere Exporte, davor haben alle wegen des starken Euro gejammert.

Standard: Wenn es keine rechtliche Basis für EU-Hilfen gibt, wären dann auch Klagen denkbar?

Breuss: Wer soll klagen? Die Kommission müsste den Rat klagen. Die muss jetzt mitmachen. Das ist natürlich sehr peinlich. Die Kommission und Eurostat müssen sich an der Nase nehmen, weil sie nicht früher stärker eingegriffen haben. Die Griechen haben sich ja schon den Euro-Eintritt 2001 erschwindelt. Da ist man erst drei Jahre später draufgekommen. Jetzt ist das schon der zweite Fall. Warum werden die Stabilitätsprogramme nicht stärker kontrolliert? Ich glaube, die haben auch etwas Dreck am Stecken.

Standard: Offenbar gibt es in der EU Meinungsunterschiede über einen Beitrag des Internationalen Währungsfonds. Was in den EU-Ländern Ungarn oder Lettland offenbar recht ist, scheint in der Eurozone nicht billig zu sein.

Breuss: Ein IWF-Einsatz ist natürlich unangenehm, weil ein Mitglied der starken Eurozone praktisch betteln geht. Aber er hätte Vorteile. Erstens hat der Fonds das notwendige Instrumentarium, wie er bei den letzten Einsätzen gezeigt hat. Und auch die Mittel sind da. Wenn man über seinen Schatten springt und den Fonds einschaltet, hätte man zudem zwei Kontrollinstanzen: Den IWF und die EU-Kommission. Und man hätte die Peinlichkeit, dass es keine vertragliche Grundlage für EU-Hilfen gibt, weggewischt.

Standard: Wenn Sie die Sinnhaftigkeit einer Rettungsaktion anzweifeln:Warum hat sich die EU auf dieses Terrain begeben?

Breuss: Offenbar sind die Banken im Hintergrund die Hauptbetroffenen, die bei den Regierungen für eine Intervention lobbyieren.

Standard: Sind mit der aktuellen Krise Konstruktionsfehler der Währungsunion hervorgetreten?

Breuss: Das Grundproblem sind die unterschiedlichen Konjunkturzyklen und das Auseinanderdriften der Lohnstückkosten. Die Deutschen sind gut, die haben seit 1999 14 Prozentpunkte an Wettbewerbsfähigkeit zugelegt (oben stehende Grafik), Österreich um etwa sechs Prozent. Finnland, Belgien, Luxemburg und Slowenien sind etwa pari. In allen anderen Euroländern sind die Lohnstückkosten gestiegen. Dazu gehören neben Griechenland auch Irland und Portugal. Das ist die Sprengkraft. Diese Budgetgeschichte jetzt ist nur ein vorübergehendes Spiegelbild schlechter Finanzkontrolle.

Standard: Dieses Thema wurde ja lange vor der Währungsunion ökonomisch debattiert, beispielsweise im Brief von 60 deutschen Volkswirtschaftern?

Breuss: Ich habe das vor dem Start der Währungsunion simuliert. Und eine der richtigen Prognosen war, dass Österreich und Deutschland vom Euro wettbewerbsmäßig profitieren werden. Die anderen verlieren, weil sie ihre Währungen nicht mehr abwerten können. Die schwächeren Staaten haben keine Disziplin bei Lohnentwicklungen und somit keine Produktivitätssteigerungen. Das Budget ist dagegen nur ein Aushängeschild. Das sieht man auch in Kalifornien, das trotz drohender Pleite für den Dollar keine Rolle spielt. Der tiefere Grund für ein künftiges Krachen in der Währungsunion ist das Auseinanderdriften der Wettbewerbsfähigkeit. Dazu kommen die nicht harmonisierten Konjunkturzyklen, bei denen eine einheitliche Geld- und Zinspolitik keinen Sinn macht. Für die einen ist sie zu restriktiv, für die anderen zu expansiv.(Andreas Schnauder, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.2.2010)