Die armen Kinder! So lautet die spontane Reaktion auf den Vorschlag, Ganztagsschulen einzuführen. Aber ist es wirklich so schlimm für Kinder, wenn sie im Rahmen einer ganztägig geführten Schulform, Lernen und Freizeit kombiniert erleben, und danach auch wirklich frei haben?

Momentan ist es für viele Familien gerade in den Bundesländern schier unmöglich, dass beide Elternteile in einem Stundenausmaß arbeiten, dass das Einkommen der Frau nicht nur als Zuverdienst gesehen wird, weil mangels geeigneter Kinderbetreuung nur ein Teilzeitjob bis Mittags möglich ist. Dann geht es schnell heim kochen, Kind von der Schule holen, Hausübungen machen und dann los zum Fußball, Ballett oder Gitarrenunterricht. Die Kinder haben damit zwar auch genug zu tun, aber sie mussten dann eben nicht in der bösen "Zwangtagsschule" bleiben. Nur die Mama hat weniger Einkommen. Blöd, wenn die Familie nicht mehr so heil ist, dann ist die Mama vom Geld des Papas weiter abhängig, weil sie nur den Halbtagsjob gemacht hat, solange die Kinder klein waren.

Ganztagsschulen sind in Wirklichkeit ein wichtiges frauen- und familienpolitisches Signal, das wahre Vereinbarkeit von Beruf und Familie für beide Partner bedeutet. Die Zeiten, in denen die Frauen den ganzen Tag daheim waren und Haushalt und Kinder betreut haben und der Papa das Geld allein heimgebracht hat, sind nun mal - auch wenn es einigen Konservativen nicht passt - ein für alle mal vorbei.

Dass die katholischen und sonstigen Privatschulen, die ein großes Freizeitangebot am Nachmittag haben, boomen, ist da ein paradoxes Detail am Rande, die Wartelisten werden jedes Jahr länger. Und ja: es gibt auch andere Gründe seine Kinder dorthin zu geben, aber ein wesentlicher Punkt ist die Tatsache, dass an diesen Schulen Lernen und Freizeit an einem Ort stattfinden können. Die Kinder müssen auch nicht in einen (in vielen ländlichen Regionen nicht mal vorhandenen) Hort, der - je nach Träger - große Qualitätsunterschiede aufweisen kann. Abgesehen davon, dass die Hortbetreuung für manche Kinder sicher problematisch ist, weil es für sie eine zusätzliche Lebenswelt mit neuen Kindern, Betreuern und neuer Umgebung bedeutet.

Aber auch wenn die Mama bewusst daheim bleibt, heißt das nicht, dass die Kinder davon profitieren. Wenn die Mama nämlich nicht gut deutsch kann, oder keine besondere Schulbildung hat (es geht nicht nur um Migranten), dann wird sie ihrem Nachwuchs auch nicht automatisch bei der Hausübung helfen können. Zahlreiche Studien zeigen, dass in Österreich die Bildungskarrieren weitaus stärker vom Bildungsgrad der Eltern abhängig sind, als das in anderen Ländern der Fall ist. In jenen Ländern, in denen die Kinder ganztägig betreut sind und am Nachmittag auch Möglichkeiten zur Förderung schwächerer Schüler bestehen, und in Ländern, in denen die Gesamtschule bis 14 bereits Realität ist . Aber das ist ja ein eigenes Thema. (Petra Eder, derStandard.at, 10.2.2010)