Für Mediziner Norbert Bachl gibt es sowohl in der Leistungsfähigkeit des Sportlers als auch im Entwickeln neuer Dopingmittel noch genug Spielraum nach oben.

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STANDARD: Wie wird man Olympiasieger?

Bachl: Das bedarf eines langjährigen und komplexen Prozesses. Wunderkinder hat es immer wieder gegeben und wird es immer geben. Den Olympiasieger des Zufalls, den gibt es aber nicht. Es muss das gesamte Umfeld stimmen. Heute heißt es nicht mehr Bizeps contra Großhirnrinde, sondern es muss alles dabei sein. Eine sportliche Karriere beginnt, indem ein junger Mensch durch besondere Leistungen auffällt. Weil er schnell ist, geschickt und koordinativ. Oder ausdauernd. Dann werden einfache motorische Tests gemacht, ob die Grundeigenschaften vorhanden sind. Erst dann wird das Kind trainiert, mit all den Inhalten, die man in den spezifischen Sportarten braucht. Vom Jugendkader an werden die Trainingsinhalte aufgebaut, geschult und weiterentwickelt.

STANDARD: Wie wichtig ist dabei die Sportmedizin?

Bachl: Für Jugendliche ist es von großer Bedeutung, sich regelmäßig medizinisch beobachten zu lassen. Ist der Stoffwechsel in Ordnung, passen Bewegungs- und Stützapparat, gibt es Fehlstellungen oder sonstige Probleme mit der Wirbelsäule, hat der Sportler Gelenksprobleme? Gesundheitsstabilität ist das Wichtigste, worauf jeder Trainingsprozess aufbaut. Gerade bei zyklischen Sportarten, wo Ausdauer eine große Rolle spielt, kann ein Verlust von drei Trainingswochen zu enormen Problemen beim Erreichen des Trainingsziels führen.

STANDARD: Irgendwann könnte ein Trainingsziel lauten: Olympiasieg.

Bachl: Natürlich spielt da auch die Psyche eine große Rolle. Bei Trainingsweltmeistern flattern im Wettkampf die Nerven und sie versagen. Das sind Dinge, die man durch Mentaltraining schulen kann. Aber im Endeffekt muss man sagen, dass vieles vom echten Olympiasieger schon genetisch veranlagt ist. Circa vierzig bis fünfzig Prozent, unterschiedlich, ob im Ausdauer- oder Kraftsport. Auch im Bereich der Psyche gibt es diese genetische Prädisposition. Je mehr man ins Extreme geht, etwa beim 50-km-Langlauf, desto mehr spielt das eine Rolle. Wenn hier bestimmte Merkmale nicht vorhanden sind, sei es in der Muskulatur, sei es in der Enzymatik, dann ist eine Top-Karriere mit Olympiasieg eher unwahrscheinlich.

STANDARD: Markus Rogan hat seine Erfolge einmal so erklärt: "Man trainiert, und dann bringt man die Leistung, für die man trainiert hat."

Bachl: Das stimmt schon. Aber man muss unterscheiden. Rogan schwimmt, er hat nichts anderes zu bedenken als die 50-Meter-Bahn, den Wasserwiderstand, seine Gegner - und seinen Kopf. Wenn ich Ski springe oder beim Biathlon-Bewerb schieße, dann ändern sich die Verhältnisse. In dem Fall würde man sagen: Man trainiert, checkt die Bedingungen, adaptiert sie - und bringt die Leistung. Das ist im Wintersport sehr wichtig. Vor allem bei Bewerben, wo es nicht nur um rein physische Leistung geht.

STANDARD: Wie schwer ist es, vor allem bei Olympischen Spielen, seine Leistung am Tag X abzurufen?

Bachl: Dazu gehört das Gefühl, ich kann es, ich weiß, dass ich es kann, ich bin gut vorbereitet. Und ich habe die äußerlichen Gegebenheiten im Griff. Ich habe Toni Innauer einmal gefragt: Was ist die Voraussetzung dafür? Eine gezielte Vorbereitung oder die Gunst der Stunde? Und er hat gesagt: "Beides. Für einen Olympiasieg muss alles stimmen."

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, dass der Mensch an Grenzen der Ausdauer, der Kraft und der Psyche stoßen wird. Wo ist für Wintersportler noch am meisten drin?

Bachl: Das ist eine generelle Frage nach der Leistungsfähigkeit, die man derzeit nicht zu hundert Prozent beantworten kann. Weil, und das muss ich betonen, auch unter Ausschaltung von Doping die Grenzen noch nicht erreicht sind. Beim Finden von Supertalenten, dem richtigen Trainingsprozess, der Vorbereitung und der Mischung zwischen Training und Regeneration lassen sich in allen Sportarten noch Verbesserungen erzielen.

STANDARD: Stichwort Doping. Gibt es da noch Grenzen, die man ausloten kann?

Bachl: Natürlich gibt es Ansätze, neue Wege des Dopings zu finden, zum Beispiel Gendoping oder Proteindoping. Es gibt viele Möglichkeiten, wo man heute durch Erkenntnisse der Genetik und vor allem der Molekularbiologie Eingriffe in Zellen machen kann, die zu Veränderungen führen und die Leistung steigern. Alles das, was im Sport als Doping bezeichnet wird, kommt im Grunde aus der Medizin. Substanzen oder Therapien, die entwickelt wurden, um gegen Erkrankungen wirksam zu sein, werden missbraucht. Das ist das Problem. Daher ist anzunehmen, dass auch in Zukunft Methoden angewandt und Substanzen verwendet werden, die Doping sind. Der Nachweis gelingt aber erst nach gewissen Vorlaufzeiten. Weil man noch nicht weiß, wonach man suchen muss.

STANDARD: Was ist für Sie als Mediziner die interessanteste olympische Sportart?

Bachl: Das ist eine schwierige Frage, weil man Äpfel mit Birnen vergleichen muss. Beim Skilanglauf ist es die Ausdauer und Kraftausdauer, beim Skispringen muss innerhalb weniger Zehntelsekunden beim Absprung und innerhalb weniger Sekunden im Flug eine perfekte Koordination stattfinden. Bei den Skifahrern und Skifahrerinnen kommt neben der Technik und der Kondition auch ein Mutfaktor, Risikobereitschaft dazu. Und beim Biathlon ist neben der Physis beim Langlaufen die hoch koordinative, konzentrative Komponente beim Schießen faszinierend. Biathleten müssen sich aus voller Laufleistung heraus schnell beruhigen können. Sie müssen ihren Körper so gut kennen, dass sie wissen, bei welchem Puls, wenn er absinkt, man schießen kann. Ohne dass sie ihn selbst messen können. (DER STANDARD, Printausgabe, 10.02.2010)