Nikolsdorf galt als Textilzentrum von Wien, es wurde im 18. und 19. Jahrhundert Seide hergestellt - Heute hat zum Beispiel noch der Designer Thang de Hoo sein Atelier dort

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Zwei Häuser in der Siebenbrunnengasse erinnern noch an das alte Stadtbild

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Die Jubiläumssynagoge in Margareten wurde in der Reichskristallnacht 1938 zerstört

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Die Justizanstalt Mittersteig blieb stehen

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Heute erinnert eine Tafel am Nachbarsgebäude an das Verbrechen der Nationalsozialisten

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Hier betrieb einst Bernhard Altmann seine Textilfabrik

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Wien - Dicke Schneeflocken fallen vom Himmel. Liegen bleiben sie nicht, dafür sorgt ein eisiger Wind. In der Anzengrubergasse im fünften Wiener Gemeindebezirk versammelte sich an einem Sonntagvormittag dennoch eine Gruppe frierender Menschen, um gemeinsam den Bezirksteil Nikolsdorf und das Grätzl um die Siebenbrunnengasse zu erkunden. Der Verein "read!!ing room" lädt unter dem Titel "Über sieben Brunnen musst du gehen" regelmäßig zu Führung. Eine ältere Dame kramt aus ihrer Börse einen Geldschein hervor. Thierry Elsen, der Rundgänge ehrenamtlich gestaltet, winkt ab: "Hören sie sich erst einmal an, ob es ihnen gefällt. Den Hut lassen wir danach herum gehen."

Margareten ist einer der dichtest besiedelten Bezirke Wiens mit der geringsten Grünfläche. Mehr als dreißig Prozent sind Verkehrsfläche. Was heute kaum noch zu glauben ist: Durch den feuchten Boden war Margareten besonders fruchtbar. Von den landwirtschaftlichen Betrieben im Umkreis zeugen heute noch einige Gassennamen wie Gartengasse, Windmühlgasse oder Heumühlgasse. "Bis zum 18. Jahrhundert wurde auch Wein angebaut", sagt Elsen.

1562 ließ Ferdinand I. mit der Siebenbrunner Hofwasserleitung eine eigene Wasserzufuhr für den kaiserlichen Hof errichten. Das Wasser wurde zunächst in sieben Brunnen gesammelt und zu einem Reservoir unter der Augustinerbastei und von dort in die Hofburg geleitet. Durch den Margaretenbrunnen am Margaretenplatz erlaubte der Kaiser ab 1829 auch den Bürgern die Nutzung der Hofwasserleitung.

Bürgerliches Wieden, Arbeiterbezirk Margareten

Margareten ist ein relativ junger Wiener Bezirk, da er erst 1861 von Wieden abgetrennt und als selbständiger Bezirk eingerichtet wurde. Die sieben ehemaligen Vorstädte Margaretens (Matzleinsdorf, Laurenzergrund, Hungelbrunn, Margareten, Hundsturm, Reinprechtsdorf und Nikolsdorf) wurden damals zum fünften Bezirk zusammengefasst. Er ist daher der einzige Bezirk innerhalb des Gürtels, der nicht an den ersten Bezirk grenzt. Die Trennung hatte auch soziale Gründe, wird beim Rundgang erzählt: "Diese neue Grenze trennte das eher bürgerliche Wieden von dem vorwiegend von Taglöhnern besiedelten peripheren fünften Bezirk."

Seidenspinner und Maulbeerbäume

Das spiegelte die Architektur wider: In Wieden entstanden viele repräsentative Gebäude, vorwiegend im Gründerzeitstil. Margareten wurde von kleineren, fast ländlichen Häusern geprägt. An das alte Stadtbild erinnern zwei Gebäude in der Siebenbrunnengasse. Im fünften Bezirk lebten im 19. Jahrhundert vorwiegend Handwerker und Arbeiter. Nikoldsdorf war als Textilviertel bekannt. Im 19. Jahrhundert wuchsen dort viele Maulbeerbäume, von denen sich Seidenspinner ernähren. Die Nikolsdorfer Frauen sponnen die Seide im 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts, mit denen sie den Hof belieferten.

Die nächste Station ist ein unscheinbares Gebäude am Anfang der Siebenbrunnengasse, wo die Straße eine Kurve macht. Dort stand die Kaiser Franz Josef Jubiläumssynagoge, die in der "Reichskristallnacht" 1938 verwüstet und niedergebrannt wurde. Heute erinnert nur noch eine Tafel an das ehemals rege, jüdische Gemeindeleben in Margareten. Der Besitzer des Hauses, das auf dem Grundstück der zerstörten Synagoge entstand, weigerte sich, eine Gendenktafel anbringen zu lassen. Daher hängt diese nun am Nachbarhaus, der Justizanstalt Mittersteig, die zeitglich mit der Synagoge errichtet wurde. Der Text lautet: "Auf dem benachbarten Grundstück entstand 1908 bis 1910 nach Plänen des Architekten Jakob Gartner erbaute Synagoge. Zerstört in der Reichskristallnacht am 10. November 1938." Thierry Elsen schmunzelt: "Eine typisch wienerische Lösung."

Dabei handelt es sich nicht um das einzige Zeugnis des nationalsozialistischen Terrors in Margareten. Ein paar Schritte weiter in der Siebenbrunnengasse 23 erinnern Figuren von einem Betrieb, der dort untergebracht war: Bernhard Altmann Textil. Heute ist die Familie vor allem noch in Wien bekannt, da der Bruder des Textilfabrikaten, Fritz Altmann, 1937 Maria Altmann (geboren Bloch-Bauer) heiratete. Nach dem Anschluss wurden die Familien zum Ziel antisemitischer Verfolgung. Fritz Altmann wurde in das Konzentrationslager Dachau verschleppt. Maria Altmann kam nach Berlin und wurde von der Gestapo gezwungen, der Arisierung des Betriebes von Bernhard Altmann zuzustimmen. Den Altmanns wurden von den Nazis zahlreiche Kunstschätze geraubt, bis heute wurden erst 36 Bilder zurück gegeben, darunter ein Portrait der Adele.

Sieben Brunnen, feuchte Keller

Endstation des Spaziergangs ist der Siebenbrunnen am gleichnamigen Platz, ein Denkmal für die sieben Quellen in Margareten. Damit erklärt sich auch ein Phänomen im fünften Bezirk: "Da noch immer Bäche und Flüße unterirdische fließen, sind die Keller teilweise sehr feucht." (jus, derStandard.at, 09. Februar 2010)