"Agua fría de mar"

Foto: Filmfestival Rotterdam

Rotterdam - In den 1980er-Jahren drehte der senegalesische Filmemacher Samba Félix N'Diaye eine Serie von kurzen Dokumentationen, der er den Titel "Mülleimer-Schätze" ("Le trésor des poubelles") gab. Zum Beispiel wird da anschaulich gezeigt, wie ein Team hart arbeitender Männer aus Schrott Kochkessel und andere Küchenutensilien herstellt. Die entsprechenden Industrieprodukte, sagt einer der sozial schlecht angesehenen Handwerker, machten optisch sicher mehr her. Aber in puncto Haltbarkeit könnten diese es mit dem in der improvisierten Manufaktur hergestellten Gerät nicht aufnehmen.

Das Bergen von Schätzen an unerwarteten Stellen oder ganz einfach das Herstellen von Öffentlichkeit für noch unbekannte oder gemeinhin gerne übersehene Filme, Formen oder Produktionskontexte ist Teil der Programmatik des Internationalen Filmfestivals Rotterdam. Die 39. Ausgabe, die am Sonntag zu Ende ging, stellte sich etwa die Frage "Wo ist Afrika".

Ein umfangreiches, notwendigerweise fragmentarisch angelegtes Programm führte aus der Gegenwart auch zurück zu Pioniertaten wie "Le retour d'un aventurier" (1967) von Mustapha Alassane, der eine Clique junger Tagediebe in einem Dorf im Niger mit Cowboy-Monturen ausstattet und in der Folge den Konflikt zwischen Generationen und Lebensmodellen im komisch gewendeten Tonfall eines Italo-Westerns austrägt.

Man gedachte des kürzlich verstorbenen Dokumentaristen N'Diaye, zeigte weiters Filme des sudanesischen Kinopioniers Gadalla Gubara oder bot gleich eine ganze Reihe afrikanischer Musikensembles auf, die Stummfilmprogramme begleiteten. Dass diese ambitioniert gestaltete Programmschiene eher ein Geheimtipp blieb, teils vor beschämend wenig Publikum stattfand, könnte ein Anlass sein, die allmählich überbordenden Sonderprogramme zu reduzieren und ihnen wieder schärfere Kontur zu geben.

Restaurierter Aussie-Punk

Eine andere Bergung des Festivals verdankte sich wohl gegenwärtigen Verwertungszusammenhängen: "Dogs in Space" von Richard Lowenstein, eine 1986 gedrehte, im Melbourner Musik-Underground der späten 70er-Jahre angesiedelte Tragikomödie und Milieustudie, wurde im vergangenen Jahr in einer DVD-Ausgabe mit zahlreichen Zusatzfeatures wieder zugänglich gemacht.

Die Restaurierung des Spielfilms, dessen unvoreingenommener, spielerischer Gestus knapp 25 Jahre später schon genauso wehmütig stimmen kann wie die für "Dogs in Space" von Marie Hoy eingespielte wunderschöne Coverversion der Boys-Next-Door-Nummer "Shivers", kommt auch dem Kinopublikum zugute. Vergleichbare technologische Entwicklungen und Verzahnungen waren im Programm "Re: Reloaded" aufgehoben, das mit dem 3-D-Release von Alfred Hitchcocks "Dial M for Murder" oder Michael Almereydas Pixelvision-Spielfilm "Another Girl, Another Planet" (1992) kluge Kommentare zur Kinogegenwart aufbot.

Letzterer gilt bei all diesen Fundstücken nach wie vor das Hauptaugenmerk in Rotterdam. Der Wettbewerb ist Erst- und Zweitfilmen vorbehalten. Drei Tiger Awards wurden am Ende vergeben, einen konnte die aus Costa Rica stammende 31-jährige Paz Fábrega in Empfang nehmen: Ihr eindringliches Spielfilmdebüt "Agua fría de mar" entwickelt an einem idyllischen Küstenstrich, an dem Upper-Class-Reisende wie Arbeiterfamilien Urlaub machen, ein verhaltenes Drama.

Ein wildes, kleines Mädchen, das sich nachts heimlich aufmacht, die Wildnis zu erkunden, wird von einem jungen Paar gefunden. Der Frau erzählt die Kleine eine Begebenheit, die wahr sein könnte und genauso gut erfunden - auf jedem Fall hat diese Geschichte ungeahnte Auswirkungen. Zwischen den beiden Figuren knüpft Fábrega bald auch visuell eine eigentümliche, untergründige Verbindung. Auch hier wirkt schließlich verschüttete Vergangenheit noch auf die Gegenwart. (Isabella Reicher / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8.2.2010)