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Im olympischen Slalom von Salt Lake City fuhr Kilian Albrecht auf den fünften Platz. Dank des Nasensprays von Alain Baxter wurde daraus sogar ein vierter Platz hinter Jean-Pierre Vidal, Sébastien Amiez und Benjamin Raich.

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Gute Zeiten: Kilian Albrecht als Zweiter im Slalom von Kitzbühel hinter Rainer Schönfelder und vor Bode Miller. Man schrieb das Jahr 2002.

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Wien - Die Karriere von Kilian Albrecht neigt sich dem Ende zu: am 27. Februar, dem Tag des olympischen Torlaufs, wird sich der 36-jährige Österreicher im bulgarischen Rennanzug ein letztes Mal aus dem Starthaus werfen. So lautet zumin­dest sein vorläufiger Plan. Davor wird er noch den Riesen­slalom bestreiten und die Atmosphäre bei der Eröffnungsfeier in Vancouver genießen. Philip Bauer sprach mit dem Rou­tinier über kleine Schuhe, starre Verbände und schwelende Konflikte - aber nicht über Medaillen, man würde ihn sonst "wohl für deppert erklären".

derStandard.at: Was bedeuten vier Hundertstel im Skisport?

Albrecht: Wenn man die Hand im Ziel nach vorne wirft, löst die Zeitnehmung aus oder auch nicht. Das sind dann vielleicht vier Hundertstel.

derStandard.at: Genau dieser Rückstand hat Sie 2002 in Salt Lake City um die Bronzemedaille im olympischen Slalom gebracht. Daran dachten Sie jetzt gar nicht?

Albrecht: Eigentlich nicht, das ist Vergangenheit. Natürlich wäre es schöner gewesen, eine Medaille ist etwas Zählbares - zumindest für die anderen. Ich selbst definiere meine Person nicht nur über das Skifahren, obwohl das in sportlicher Hinsicht wahrscheinlich hilfreich gewesen wäre.

derStandard.at: Kann man Sie eigentlich noch als Skiprofi bezeichnen?

Albrecht: Ich bezeichne mich gerne als den einzigen Amateur (lacht). Derzeit lebe ich nicht von meiner Aktivität im Weltcupzirkus, sondern von meinen Ersparnissen.

derStandard.at: Wie wirken sich die knappen Finanzen auf Ihre Leistungsfähigkeit aus?

Albrecht: Es fehlt natürlich das Geld für einen Physiotherapeuten oder einen Servicemann. Ich muss mir alles selber organisieren. Dafür habe ich aber keine hundert Klugscheißer vor mir, die mich rund um die Uhr kritisieren. Ich kann tun und lassen, was ich will.

derStandard.at: Welche Möglichkeiten stellt Ihnen der bulgarische Verband zur Verfügung? Trainieren Sie auch mit bulgarischen Athleten?

Albrecht: Eine gewisse Unterstützung ist vorhanden, aber es handelt sich um einen kleinen Verband mit stark begrenzten Mitteln. Ein Training mit den anderen Athleten war heuer nicht möglich, wir waren durchwegs an unterschiedlichen Orten. Zudem wird im Nachwuchs vermehrt auf die Speed-Disziplinen gesetzt.

derStandard.at: Ist es nicht Wunsch des bulgarischen Verbandes, dass Sie als routinierter Skiläufer, Ihre Erfahrungen weitergeben?

Albrecht: Das wäre bestimmt der Wunsch. Ich kann aber nicht auf Weltcup-Niveau fahren und gleichzeitig mit FIS-Fahrern trainieren. Der Präsident versteht das auch und lässt mir freie Hand.

derStandard.at: Wissen Sie was am 8. Jänner 1980 passiert ist?

Albrecht: Da hat wahrscheinlich Petar Popangelov einen Weltcup-Slalom gewonnen.

derStandard.at: Genau, und zwar im deutschen Lenggries vor dem Russen Aleksandr Zhirov und Ingemar Stenmark. Gibt es Hoffnung auf eine Wiederholung solcher Erfolge? Gibt es einen Namen, den wir uns für die Zukunft merken müssen?

Albrecht: Nikola Chongarov fuhr bei der Junioren-WM im vergangenen Jahr die beste Zeit im zweiten Slalom-Durchgang. Heuer geht es im wieder weniger gut. Es gibt gute junge Athleten, aber das sind Einzelfälle. In Österreich hat man pro Jahrgang dreißig dieser Klasse. Und selbst dort schafft dann nur einer den Durchbruch. Mit Achtjährigen wird schon richtig professionell trainiert, eigentlich ein Wahnsinn. In Ländern wie Bulgarien braucht man hingegen ein Megatalent, viel Glück und keine Verletzungen. Und wahrscheinlich auch noch fanatische Eltern. In Österreich gibt es so viele Talente, da geht es nur noch um Selektion, nicht um Förderung.

derStandard.at: Können Sie sich vorstellen nach ihrer aktiven Karriere, als Trainer zu arbeiten? Vielleicht sogar in Bulgarien?

Albrecht: Das Verbandswesen und die damit verbundenen Machtspiele schrecken mich ab. Ich sehe als Vorsitzender der Athletenkommission wie es zum Beispiel bei der FIS läuft und die FIS ist ja nichts anderes als die Vereinigung aller nationalen Verbände. Entscheidungsprozesse dauern viel zu lange und Flexibilität ist ein Fremdwort. Das System ist zu starr und geht leider nur selten mit der Zeit. Eine gewisse Tradition ist okay, es gibt auch ein paar gute Events, dennoch sollten neue Ideen stärker gefördert werden. In der Privatwirtschaft wäre der Wagen vermutlich nach kurzer Zeit an die Wand gefahren. Die ganzen Verbände funktionieren so nur aufgrund ihrer Monopolstellung.

derStandard.at: Welche Wünsche können Sie denn nicht durchsetzen?

Albrecht: Verletzt sich ein 18-Jähriger bei einem FIS-Rennen und sitzt dann im Rollstuhl, sollte er zum Beispiel finanziell unterstützt werden. Derartige Strukturen existieren einfach nicht, obwohl sie selbstverständlich sein sollten. Stattdessen muss man kämpfen, um solche Vorschläge durchzusetzen. Und das obwohl bestimmt genug Geld da wäre, um solche Fonds einzurichten. Und selbst wenn es Möglichkeiten gibt, werden diese nicht ausreichend kommuniziert. Unsere Aufgabe in der Athletenkommission ist, das mit aller Deutlichkeit zu fordern. Im Fall Lanzinger hätte man ein Beispiel setzen können, davon hätte das Image der FIS profitiert.

derStandard.at: Da wir beim Thema Sicherheit sind: Befürworten Sie auch - wie im ÖSV teilweise gefordert - eine geringere Taillierung der Ski?

Albrecht: Man darf nicht vergessen, wie viel der Skisport durch die Carving-Technik gewonnen hat. Es hat sich eine sportliche Dynamik entwickelt, die im Fernsehen toll aussieht. Sehen Sie sich mal ein Rennen aus den neunziger Jahren an - das kann man gar nicht mehr vergleichen. Das Thema jetzt auf die Carving-Ski zu reduzieren, ist zu simpel. Die Sicherheit hängt auch mit der Präparierung der Ski, dem Zustand der Piste, der Kurssetzung, dem Skischuh zusammen. Ob es sinnvoll ist, sich in Schuhe zu pressen, die fünf Nummern zu klein sind? Man kann schon einen Schritt zurück machen, die Ski von den Neandertalern brauchen wir aber auch nicht.

derStandard.at: Sie haben bei der FIS auch wegen eines sogenannten "Arbitration boards", einer Schlichtungsstelle für Athleten im Konflikt mit Verbänden angefragt.

Albrecht: Viele Konflikte könnten dank Mediation vermieden werden. Aber solche Initiativen werden bereits im Keim erstickt. Dann wird man wieder an den Internationalen Sportgerichtshof verwiesen und muss fünf Monate warten, obwohl es oft um Kleinigkeiten geht. Das ist frustrierend.

derStandard.at: Solche Institutionen hätten Ihrer Karriere wohl auch nicht geschadet.

Albrecht: Sicher nicht. Oder denken Sie an Patrick Järbyn. Er wurde aus dem schwedischen Kader eliminiert und wurde nur dank einer Intervention von Pernilla Wiberg und FIS-Präsident Kapser gnadenweise wieder gemeldet, weil er ohnehin der einzige Schwede war. Anschließend gewann er als erster Schwede eine WM-Medaille in der Abfahrt.

derStandard.at: Reibt die Tätigkeit in der Kommission Ihre Nerven auf?

Albrecht: Es ist gar nicht so schlimm, weil man sich ohnehin nicht allzu viel erwartet und jede Kleinigkeit, die man durchbringt schon ein kleiner Erfolg ist. Ab und an hab ich bei gewissen Leuten jedoch schon stark das Gefühl, dass unsere Kommission nicht gerade gern gesehen ist und sie nur existiert, weil das IOC diese Einrichtung von den Verbänden fordert.

derStandard.at: Sind die unbeliebten Dinge nicht oft auch die notwendigen?

Albrecht: Ja sicher, ich bin ohnehin hartnäckig und lasse mich nicht unterkriegen. Auf mir können sie ruhig herumtrampeln, ich stehe schon wieder auf.

derStandard.at: Wie lange wollen Sie sich eigentlich noch als Einzelkämpfer durch den Skizirkus quälen?

Albrecht: Der Olympia-Slalom wird mein letztes Rennen sein.

derStandard.at: Ist das eine offizielle Rücktrittserklärung?

Albrecht: Ich lasse mir noch eine Türe offen. Aber so ist es derzeit geplant.

derStandard.at: Eine olympische Medaille wäre wohl der perfekte Abschied. Ist die mit einer hohen Startnummer überhaupt im Bereich des Denkbaren?

Albrecht: Ich fahre nach Vancouver und gebe mein Bestes. Die Möglichkeiten hängen aber auch von den äußeren Bedingungen ab, da muss alles zusammenpassen. In Schladming zum Beispiel wäre es mit meiner Nummer durchaus möglich gewesen, auf das Podest zu fahren. Die Piste war perfekt, ich war stark unterwegs, habe mich dann aber hingelegt. Auf ein Rennen unter derartigen Verhältnissen hoffe ich, natürlich muss ich dann auch meine Leistung ins Ziel bringen. Wenn ich jetzt allerdings von einer Medaille spreche, wird man mich wohl für deppert erklären. (derStandard.at; 8. Februar 2010)