Modern, links und Beatles-Fan war er nie, der Chef der Immofinanz-Gruppe, Eduard Zehetner. Seinen Kick holt er sich beim Sanieren von Unternehmen - und beim Bremsen von
600-PS-Boliden.

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Standard: Das erste, was man hier sieht, ist der Reißwolf. So schlimm?

Zehetner: Der ist nie in Betrieb. Dinge, die man vernichten muss, werden außer Haus professionell vernichtet. Ich werfe meine Sachen in eine Bananenschachtel unterm Schreibtisch, nur meinen Gehaltszettel, den zerreiß‘ ich.

Standard: Was steht drauf?

Zehetner: Sage ich nicht.

Standard: Nicht sehr mutig. Sie sagen doch: "Ich fürchte mich prinzipiell nicht." Wie kann man sich prinzipiell nicht fürchten?

Zehetner: In meinem Arbeitsumfeld fürchte ich mich nicht.

Standard: Manager fürchten sich sowieso nicht?

Zehetner: Ganz im Gegenteil, viele fürchten sich unheimlich. Vor allem: vor schlechtem Wetter, dem nächsten Tag und ganz prinzipiell vor Entscheidungen.

Standard: Vor Krankheit, Sterben und Tod fürchten Sie sich schon?

Zehetner: Nein, das definiere ich weg. Ich fürcht‘ mich dann davor, wenn es so weit ist. Nicht jetzt.

Standard: Ich will mit Ihnen am liebsten über Gott, Gauner und die Welt reden...

Zehetner: Ich rede am liebsten über mein berufliches Umfeld.

Standard: Sie haben ja kaum Hobbies; nur Tennis ist bekannt.

Zehetner: Doch, ich gehe einmal im Monat mit meinen jungen Mitarbeitern Fußball spielen. Das konnte ich früher sogar ganz gut.

Standard: Ein Mannschaftssport, obwohl Sie im Ruf stehen, absoluter Einzelkämpfer zu sein?

Zehetner: Ich arbeite gern im Team, wenn es gut ist. Und ich habe viele Jahre in der Fußball-Landesliga gespielt, und damit so viel verdient, dass ich als Student auf Urlaub fahren konnte.

Standard: Sie sind aus St. Pölten...

Zehetner: Ja, mein Vater war Fleichhauermeister und genauer gesagt komme ich aus Pottenbrunn. Das war ein Mal "Schönster Ort Europas"...

Standard: Pelargonien im Blumenkisterl vor den Fenstern und so?

Zehetner: Genau, und Wasserschloss im Ort. Meine Mutter war übrigens damals Kassierin vom Verschönerungsverein.

Standard: Sie haben sich bei der RHI-Sanierung und jetzt bei Immofinanz den Ruf eines sturen Hundes erworben, sorry für den Ausdruck. Schon in Ihrem ersten Job am Institut für Höhere Studien 1974 sorgten Sie für Zoff. Sie wollten Ihre Abteilung auf Profit orientieren und gerieten sich mit Eva Kreisky in die Haare...

Zehetner: Wer hat Ihnen das erzählt? Das weiß ja kaum noch wer. Eva Kreisky, Marina Fischer-Kowalski waren die Proponenten der ultralinken Seite am IHS. Ich war auf der anderen, absolute Minderheit. Ich gehörte zur ersten Generation der Abteilung Betriebswirtschaft und Operations Research, wir haben ein Beratungsunternehmen gegründet und wollten darüber IHS-Aufträge abwickeln, daran hätte das IHS verdient. Das war ein Sakrileg. Ich habe dann ein Softwarehaus mitbegründet und ging zu Steyr.

Standard: Sie waren der Kapitalist unter lauten Linken?
Zehetner: Im Vergleich zu ihnen war ich ultra-rechts-konservativ-kapitalistisch.

Standard: Ihr Herz hat nie nie links geschlagen?

Zehetner: Nein. Aber ich war als Junger auch nie so rechts, dass ich jetzt weit links stehen müsste. Ich war nie modern, war kein Beatles-Fan, fand den Ostblock nicht toll und wollte nie Moskauer Boden küssen. Ich war Nonkonformist.

Standard: Das haben Sie sich erhalten, als Sanierer?

Zehetner: Sanierer, was ist das? Ich versuche, ungesunde Komponenten aus Unternehmen zu scheiden, Strategien zu finden und umzusetzen und fürchte mich eben nicht. Wovor sollte ich mich fürchten?

Standard: Vorm Scheitern?

Zehetner: Das ist ja der Kick daran. Manche gehen auf den Mount Everest, ich probiere, Unternehmen zu sanieren. Anderen ist das wegen der Konflikte zu mühsam. Ich bin konfliktbereit. Dafür würde ich nie auf einen 8000er gehen.

Standard: Dafür rasen Sie gern auf Rennstrecken herum.

Zehetner: Ja. Und noch zum Scheitern: Heute steht jeder, der ein Unternehmen führt, mit einem Fuß im Gefängnis. Man kann all die Normen, die man erfüllen muss, gar nicht kennen.

Standard: Das Aktiengesetz aber wenigstens?

Zehetner: Natürlich, aber wenn Sie mich fragen, an wie vielen Gesetzen ich heute schon vorbeigeschrammt bin, könnte ich‘s nicht sagen. Es beginnt in Europa das, was in den USA gang und gäbe ist: Externe Juristen übernehmen die Kontrolle in Unternehmen, reißen die Macht an sich. Weil wir überreguliert sind, aberwitzig viele Gesetze haben. Wann immer eine Gaunerei passiert, kommt ein neues Gesetz, und das einzige, was geschieht: Die Risikoprämie wird höher. Die, die bewusst Gaunereien machen, machen größere Gaunereien. Und zum sturen Hund: Ich bin nicht stur, sondern zielorientiert. Beim Ziel bin ich kompromisslos, am Weg dahin flexibel.

Standard: Apropos: Sie verließen die RHI 2007, als Investor Martin Schlaff einstieg und verhindern wollte, dass Sie Dividende zahlen. War das der Grund für Ihren Abgang oder Schlaff?

Zehetner: Hängt zusammen. Diesen Teil des Aktiengesetzes habe ich gelesen: Ich kann mir doch nichts von einem Minderheitsaktionär vorschreiben lassen. Einerlei: Die wollten mich nicht.

Standard: Warum nicht?

Zehetner: Weil ich unabhängig bin. Aber ich wollte für ihn eh nicht arbeiten, mir gefällt sein Track Record nicht: IM Landgraf.

Standard: Der Vorwurf Deutschlands, Osthändler Schlaff sei Interner Mitarbeiter (IM) der Stasi gewesen, wurde nie erhärtet.

Zehetner: Behaupte ich auch nicht. Aber ich kann mir aussuchen, mit wem ich arbeite. Es muss sich krümmen, was ein Häkchen sein will. Ich will kein Häkchen sein.

Standard: Jetzt müssen Sie sich doch auch krümmen. Sie wollten für die Immofinanz von den Ex-Eigentümern der Constantia Privatbank 512 Mio. Euro, geben sich aber mit zwei Drittel zufrieden. Gegen Ihre Gewohnheit: Jemand sagt, für Sie sei "ein Vergleich dann erreicht, wenn der andere aufgibt".

Zehetner: Stimmt nicht. Aber natürlich fällt es mir schwer, der Gegenseite die Chance auf einen signifikanten Abschlag zu geben, wenn ich weiß, dass ich im Recht bin. Aber so funktioniert ein Vergleich.

Standard: Noch eine Frage an den Kapitalisten: Sind die Causen Bawag, Immofinanz, Meinl, Hypo Alpe Adria, AvW Ausdruck von Gier oder von Gaunerei?

Zehetner: Das sind Auswüchse des Kapitalismus, des Gewinnstrebens und der menschlichen Natur. Wir wollen immer besser werden, mehr Wachstum, mehr Gewinn, mehr Umsatz, mehr Gehalt. Dafür, dass dabei Dritte nicht zu Schaden kommen, gibt es Gesetze. Die kapitalistische Welt hat sich eben gegen das sozialistische Modell des Staatskapitalismus durchgesetzt, weil sich der Mensch eben mit andern messen will, besser sein will als der andere. Das führt zu Auswüchsen. Es kommen eben nicht alle als Mahatma Gandhi oder Buddha auf die Welt, völlig bedürfnislos und ausgeglichen.

Standard: Und spült die Krise jetzt alle Leichen an Land, eben auch in Österreich?

Zehetner: Nein, auch in Österreich wurde der Markt größer, ist mehr Geld unterwegs als früher. Der Anteil von Idioten ist konstant: je größer die Organisation, desto mehr Idioten.

Standard: Immofinanzchef Petrikovics war keiner. Er war zu 15 Prozent am Bank-Gewinn beteiligt...

Zehetner: ... und gierig, und das Incentive-Modell war der Born allen Übels. Was will man von uns Managern? Entscheidungen, die das Ergebnis maximieren. Umgelegt aufs Petrikovics-Entlohnungsmodell: Er muste möglichst schnell ein möglichst großes Rad drehen. Da geht man hohe Risken ein, irgendwann radiert man über die gesetzlichen Grenzen hinweg. Merkt man das rechtzeitig, kann man zurückrudern. Er hat aber die Kurve nicht mehr gekratzt.

Standard: Sind Sie je in so einer Situation gewesen?

Zehetner: Sicher. Aber ich habe rechtzeitig zurückgefunden.

Standard: Sie haben gesagt, bei Karl Petrikovics sei die Gier dazu gekommen. Die drei damaligen Constantia-Privatbank-Chefs haben von 2004 bis 2008 rund 65 Mio. Euro verdient. Ist das alles noch irgendwie nachvollziehbar?

Zehetner: Nein, einer von ihnen hat in einem Jahr mehr verdient, als ich in meinem ganzen Leben; und das ist auch nicht wenig. Aber es geht nicht um den Vergleich mit mir; das alles entstand einfach daraus, dass ihr Bonus nach oben hin unbegrenzt war. Da haben sämtliche Regulative gefehlt. Die drei Herren waren aber auch Getriebene, denen man noch dazu zu viel Macht in die Hand gegeben hat. Petrikovics hat die Bank ja nach dem Führerprinzip geleitet, absolut geherrscht. Seine zwei Vorstandskollegen konnten ihn nicht überstimmen, waren Staffage und Marionetten.

Standard: Und Aufsichtsrat, Eigentümerin, Mitarbeiter: Alle haben weggeschaut?

Zehetner: Die Eigentümerin Christine de Castelbajac ist doch reich geworden.

Standard: War sie als Tochter von Constantia-Konzerngründer Herbert Turnauer doch schon immer.

Zehetner: Sie ist noch reicher geworden. Dabei war sie selbst eigentlich immer risikoscheu. Aber wenigstens steht sie jetzt, im Rahmen des Vergleichs mit der Immofinanz, zu ihrer Eigentümerverantwortung.

Standard: Sind eigentlich alle Menschen käuflich?

Zehetner: Ja, alle Mneschen sind käuflich. Man weiß nur nicht von jedem den richtigen Preis. Mir sagte einmal wer, ich sei unbestechlich. Aber nicht, weil ich so ehrlich bin, sondern weil ich so teuer bin.

Standard: Hat das Schlaff gesagt?

Zehetner: (lacht) Bei mir ginge es wahrscheinlich nicht um Geld. Nicht nur Geld ist ein Preis.

Standard: Ihr Preis wäre Macht?

Zehetner: Macht ist schon ein Thema, Macht ist etwas Schönes. Ein kleines Unternehmen zu führen ist wie in einer Band spielen, ein großes Orchester hat ganz andere Qualität. Aber ich weiß, dass Macht über Nacht weg sein kann.

Standard: Ein Stehsatz. Wir leben doch alle von unsren Visitenkarten.

Zehetner: Sicher, aber drohen Sie einmal einem Manager, ihm seine wegzunehmen, ihm die Macht zu nehmen: Da werden viele gefügig. Es geht ja auch um gesellschaftlichen Status, um unsere Werte.

Standard: Stichwort Werte. Sie selbst nennen sich wertkonservativ. Was sind denn die Werte, um die es Ihnen geht?

Zehetner: Sie skelettieren mich. Ich bin sogar ein Wertidealist, geprägt von meiner Erziehung: fleißig sein, tüchtig sein und ehrlich, etwas schaffen, nicht stehlen. Klassisch kleinbürgerlich und christlich geprägt eben.

Standard: Und wie halten Sie's mit Geld? Sie haben ja viel.

Zehetner: Geld ist kein Wert. Geld ist ein Maßstab, ein Maßstab des Erfolgs.

Standard: Auch wenn man die Gehälter der drei genannten Banker betrachtet?

Zehenter: Um bei meinem Bild vom Achttausender zu bleiben: Die drei haben ihren Aufstieg auch als Erfolg verkauft. Dabei haben sich von andren rauftragen lassen.

Standard: Und was ist Ihr Luxus? Autos?

Zehetner: Ich lebe wie ich will, wohne, wo ich immer wohnen wollte, und, ja, ich fahre ein gutes Auto.

Standard: Ihr Audi hat 420 PS?

Zehetner: Nein, nur 333. Aber die auf der Rennstrecke haben 500, 600 PS. Wissen Sie, was das Tolle daran ist? Nicht die Beschleunigung. Die Bremsen.

Standard: Sagen Sie nicht, Ihnen ginge es ums Bremsen.

Zehetner: Doch. Um die Bremsen. Wenn Sie draufsteigen, glauben Sie, das Gehirn zischt Ihnen durch die Augäpfel. Die Verzögerung ist das Fantastische am Rennfahren.

Standard: Worum geht's im Leben?

Zehetner: Um's Bremsenkönnen. Und mir gehts auch darum, Erfolg zu haben. Und wenn die 80.000 Immofinanz-Anleger am Ende einen ordentlichen Preis für ihre Aktie bekommen, dann hat sich mein Einsatz ausgezahlt. (Renate Graber, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 6./7.2.2010)