Wahrnehmung der beruflichen Gleichstellung bei Männern und
Frauen ist weiterhin sehr unterschiedlich

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Männer und Frauen sind weiterhin unterschiedlicher Meinung über die Realität und den Wert der Gleichstellung in Unternehmen. Das zeigt die aktuelle Umfrage der Strategieberatung Bain & Company in Zusammenarbeit mit der Zeitschrift Harvard Business Review, bei der weltweit mehr als 1.800 Angestellte beiden Geschlechts - davon 60 Prozent in Führungspositionen - befragt wurden.

Die überwiegende Mehrheit gab an, von den Vorteilen der Gleichstellung am Arbeitsplatz überzeugt zu sein. Doch während 84 Prozent der Frauen der Meinung sind, dass Gleichstellung auch ein strategisches Ziel ihres Unternehmens sein sollte, glauben das nur 48 Prozent der Männer. Nach Ansicht der Autoren der Studie "The great disappearing act: Gender parity up the corporate ladder" liegen die Gründe für die anhaltende Stagnation der Gleichstellung in der Besetzung von Führungspositionen, im Fehlen von Prozessen und Zielkennzahlen sowie im mangelhaften Monitoring der erreichten Gleichstellung. Die Studie zeigt, dass 75 Prozent der Unternehmen die Gleichstellung nicht zum ausdrücklichen und sichtbaren Unternehmensziel erklärt haben und 80 Prozent nur ungenügende Mittel zur Erreichung von Gleichstellung zur Verfügung stellen.

Spezifika des Unternehmens verstehen

"Die Durchsetzung von Gleichstellung in Unternehmen ist möglich, wenn das Management einen systematischen und maßgeschneiderten Ansatz verfolgt, um herauszufinden, was Frauen von ihrem jeweiligen Karrierepfad im Unternehmen abbringt", sagt Orit Gadiesh, Global Chairman von Bain & Company und Mitautorin der Studie. "Wichtig ist, die jeweiligen Spezifika des Unternehmens zu verstehen. Um wie viele Frauen geht es, wo steigen sie typischerweise aus ihrer Karriere aus und wie funktioniert die Besetzung von Führungspositionen? Man kann dieses Thema nicht angehen, wenn man es nicht untersucht hat."

Fehlende Daten

Die Studienergebnisse zeigen, dass viele Unternehmen nicht genügend Daten sammeln, um das Erreichen ihrer Gleichstellungsziele messen und steuern zu können. Weniger als 20 Prozent der Befragten wissen, ob ihr Unternehmen geschlechtsspezifische Daten wie die Anzahl eingestellter, beförderter oder langjährig im Unternehmen tätiger Frauen überhaupt erhebt. Die Autoren der Studie sind der Meinung, dass die Unternehmen zunächst die Bedeutung genauer Messmethoden der Gleichstellung erkennen müssen, um dann den nächsten Schritt zu gehen: das Monitoring des Fortschritts in der Gleichstellung über alle Ebenen der Organisation hinweg.

Ausgeschlossene Mitarbeiter

Viele Unternehmen involvieren ihre Mitarbeiter nicht in die Planung und Gestaltung ihrer Gleichstellungsprogramme und informieren auch zu wenig darüber. Rund 60 Prozent aller Befragten berichteten, dass ihr Unternehmen bei der Entwicklung seiner Gleichstellungsinitiative keinen Input von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eingefordert habe. Zehn Prozent sagen, dass ihr Unternehmen keinen formalen Feedbackkanal und keine Gelegenheit für einen offenen Dialog besitze.

Das Ausmaß an Zeit und Energie, die Männer und Frauen für Heim und Familie aufwenden, unterscheidet sich noch immer sehr stark. Obwohl dieses Ergebnis der Studie nicht überrascht, so unterstreicht es dennoch die Hürden für die berufliche Gleichstellung der Frauen:

  • Rund 90 Prozent sowohl der Männer als auch der Frauen geben an, dass der Hauptverdiener eines Haushalts ebenso männlich wie weiblich sein kann. Doch während 80 Prozent der Frauen auch glauben, dass jeder der beiden Partner die Kindererziehung übernehmen könne, sagen dies nur 56 Prozent der Männer.
  • Knapp über die Hälfte beider Geschlechter (53 Prozent der Männer und 59 Prozent der Frauen) geben an, persönlich zu Karriereopfern bereit zu sein. Über den Partner sagen dies jedoch fast 80 Prozent der Männer, aber nur 45 Prozent der Frauen.
  • Frauen berichteten doppelt so häufig, einen Karrierebruch oder eine berufliche Auszeit in Kauf genommen zu haben und dreimal so häufig, Teilzeitarbeit angenommen zu haben.

"Unternehmen müssen ihre Beförderungsprozesse und Karrierepfade künftig stärker flexibilisieren und die Stigmatisierung unterbrochener Karrierepfade beenden, um mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die Auswahl für Führungspositionen zu bekommen," sagt Julie Coffman, Partner, Mitautorin der Studie und Leiterin des weltweiten Global Women's Leadership Council von Bain. "Die Alternative ist, wichtige Mitarbeiterpotenziale zu verlieren, und das zu einer Zeit, in der Spitzenkräfte zunehmend rar werden."(red, derStandard.at)