Beliebtes parodistisches Youtube-Ziel: Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy, hier angeblich betrunken am G8-Gipfel.

Screenshot

Der Aufruf könnte aus der Französischen Revolution stammen: "Auf die Barrikaden!", fordert in einem Onlineforum ein gewisser Turbin30, seines Zeichens "geek", wie sich die Mitglieder der französischen Internetgemeinschaft nennen. Der aufgebrachte Blogger warnt vor nichts weniger als einer "digitalen Diktatur". Frankreich habe zwar die Menschenrechte erfunden, drohe aber zu einem "numerischen Polizeistaat" zu werden, meint er ohne Umschweife.

Loppsi

Der Warnruf gilt einem neuen Erlass, den Staatspräsident Nicolas Sarkozy noch diesen Monat durch das Parlament bringen will, genannt "Gesetz über die Orientierung und Programmierung für die Durchsetzung der inneren Sicherheit" oder abgekürzt Loppsi. Der Ausdruck "innere Sicherheit" hat für viele Franzosen einen schalen Beigeschmack: Er steht für politische Polizei, eine Legion von Spitzeln, Schnüfflern und Agenten, die seit Napoleons Zeiten Politiker überwachen und Zeitungen zensurierten.

Offiziell hat Sarkozys Gesetz Staatsfeinde und Pädophile im Visier. Sie sollen dank Loppsi mit mächtigen Suchmaschinen aus dem Netz gefiltert werden. Ein Abgeordneter der Sarkozy-Partei UMP, Jacques Myard, meinte allen Ernstes, Frankreich brauche gegen "faule" Webinhalte ein "Internet à la chinoise", das heißt Kontroll- oder Zensurbehörden wie in kommunistischen Peking.

"Vorwand für eine generelle Webüberwachung"

Gemäß Jérémie Zimmermann vom Geek-Forum Quadrature du net ist der Kampf gegen die Pädopornografie aber nur ein "Vorwand für eine generelle Webüberwachung". "Bald werden auch verbotene Spiele herausgefiltert, dann sind kommerzielle Down-loader dran - warum nicht gleich Webseiten, die den Präsidenten der Republik aufs Korn nehmen?"

Für die freie Meinungsäußerung wäre das besonders schlimm, sagt Zimmermann. In der Tat: Wenn sich Sarkozy im rumänischen Parlament eine Kiste hinter das Rednerpult stellen lässt, um größer zu erscheinen, amüsiert sich die ganze Blogosphäre; die Pariser Tageszeitungen verlieren hingegen aus Staatsräson kein Wort darüber. Loppsi wäre die "Guillotine für unliebsame Blogger", eilt ein Surfer aus Deutschland zu Hilfe.

Die französischen Geeks können nur hoffen, dass das Regierungsvorhaben wie schon in ähnlichen Fällen von Drittseite abgeblockt wird. Der Loppsi-Vorgänger Hadopi - ein Gesetz gegen das Gratis-Downloaden - wurde im Sommer 2009 vom Verfassungsgerichtshof in Paris annulliert. Die Regierung wollte ertappten File-Sharern den Internetzugang kurzerhand sperren können. Das Verfassungsgericht kam jedoch zum Schluss, dass höchstens die Justiz, auf keinen Fall aber eine bloße Regierungsbehörde diesen Eingriff in die persönliche Informationsfreiheit anordnen könne.

Google-Steuer

Sarkozys Vorhaben, der Suchmaschine Google eine Steuer aufzuerlegen, stößt ebenfalls auf Widerstand - in Brüssel. Die EU-Kommission prüft nun, ob Paris mit der "taxe Google" indirekt die heimische Musik- und Kulturindustrie schützen wolle. Das wäre verkappter Protektionismus.

Das ist aber nicht das einzige Motiv Sarkozys, um gegen den US-Suchmotor vorzugehen. "Es kommt nicht infrage, dass wir uns unseres Kulturerbes berauben lassen. Frankreich muss seine jahrhundertealte Literatur selbst digitalisieren." Solche Worte finden außerhalb Frankreichs Anklang: Sie wenden sich gegen Googles aggressive Kommerzattacke auf Bibliotheksinhalte in aller Welt. Bloß halten Frankreichs Mittel nicht mit dem Anspruch mit. Schon 2005 hatte Frankreich mit der Suchmaschine "Quaero" eine Alternative zu Google versprochen; die Ankündigung wurde nie verwirklicht.

Die in Paris lancierten Digitalisierungsprojekte Gallica, Europeana oder Polineum hinken Google ebenfalls hinterher. Statt die Internetfreiheit mit Gesetzen wie Hadopi oder Loppsi einzuschränken, sollte Sarkozy seine Energie vielleicht besser auf eine realistische Antwort auf Google konzentrieren. (Stefan Brändle aus Paris/ DER STANDARD Printausgabe, 5. Februar 2010)