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Wenn der Schatten der Erde auf ihn fällt, leuchtet der Mond rötlich. Forscher behaupten nun, dass sich unser Trabant nach einer nuklearen Kettenreaktion auf der Erde gebildet habe.

Foto: AP/Rikubetsu Astronomy and Terrestrial Science Museum

Die Menschen haben mit dem Mond schon einiges angestellt: Sie haben ihn betreten, beschossen und bestrahlt - doch wie der Erdtrabant entstanden ist, wissen Forscher bis heute nicht genau.

Bislang hatten die meisten Wissenschafter einen Himmelskörper von den Ausmaßen des Mars als Geburtshelfer unter Verdacht. Er soll vor rund 4,5 Milliarden Jahren auf der Erde eingeschlagen und eine gewaltige Menge Gestein aus dem noch jungen Planeten gerissen haben. Einige Bruchstücke hätten sich zum Mond verdichtet.

Die Theorie steht in Lehrbüchern, doch sie hat einen Haken: Eigentlich hätte die Bombe chemische Spuren im Mondgestein hinterlassen müssen. Einigen Modellen zufolge sollte der Mond sogar hauptsächlich aus dem Material des kosmischen Irrläufers bestehen. Doch Ende 2007 fanden Forscher heraus, dass Erd- und Mondgestein nahezu identisch sind.

Das wäre plausibel, wenn der Mond einst vollständig ein Teil der Erde gewesen wäre. Dazu passt eine Theorie, die Forscher schon vor 130 Jahren aufgestellt haben: Die Erde habe sich in ihrer Frühzeit so schnell gedreht, dass sie Gesteinsmassive ins All geschleudert habe - wie ein Karussell, das Fahrgäste abschüttelt. Wie ein mächtiger Gesteinstropfen habe sich der Trabant von der Erde gelöst.

Fehlende Fliehkräfte

Doch auch diese Theorie hat ein Problem: Die Fliehkräfte allein würden nicht ausreichen, eine solche Masse aus der Erde herauszulösen. Nun meinen zwei niederländische Geophysiker, die fehlende Kraft entdeckt zu haben: Eine nukleare Explosion im Innern der Erde habe den Heimatplaneten zerfetzt, schreiben sie in einer Studie, die zur Veröffentlichung im Fachblatt Earth, Moon and Planets vorgesehen ist.

Tatsächlich finden sich auf der Erde Spuren natürlicher Kernreaktoren. In Zentralafrika etwa hatte sich vor rund zwei Milliarden Jahren so viel radioaktives Uran im Boden angereichert, dass es zur nuklearen Kettenreaktion kam, die rund 150.000 Jahre anhielt. Ähnliches passierte in der Erdfrühzeit tief im Inneren des Planeten, meinen Rob de Meijer von der University of Western Cape in Südafrika und Wim van Westrenen von der Freien Universität Amsterdam.

In 2900 Kilometer Tiefe herrschen wahrhaft höllische Verhältnisse: Bei Temperaturen wie auf der Sonne lastet auf jedem Quadratzentimeter das Gewicht von 1300 Tonnen. In Silikatgesteinen strahlen radioaktives Uran und Thorium. Wären die Substanzen örtlich um das 20-Fache angereichert, könne es zur nuklearen Kettenreaktion kommen, meinen de Meijer und van Westrenen. Am Ende würde der Planet explodieren.

Das Rezept für eine solche Katastrophe wäre allerdings schwierig herzustellen: Millionen Kilogramm radioaktives Uran müssten zusammenkommen, um eine Kettenreaktion dieses Ausmaßes aufrechtzuerhalten. Mächtige Gesteinslawinen im Erdmantel hätten abgehen müssen, um den radioaktiven Zündstoff nachzuliefern. Dennoch glauben die Forscher, dass die Fliehkräfte der Erde in der Lage waren, solch gewaltige Umwälzungen anzufachen, sobald das radioaktive Inferno erstmal in Gang gekommen sei.

Neuer Forschungsschwung

Andere Forscher reagieren zurückhaltend auf die neue Theorie: "Mein erster Eindruck: ziemlich abgedreht", meint der Geophysiker Ulrich Hansen von der Universität Münster. Etwas weniger ablehnend äußerte sich Hansens Kollege Thorsten Kleine: "Ich bin zwar skeptisch, aber es ist eine interessante Theorie, die der Mondforschung neuen Schwung geben wird."

Die Grundannahmen über die für die Katastrophe erforderliche Energie seien plausibel, bemerkt Tilman Spohn, Planetenkundler am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Die Zündung der Kettenreaktion indes bedürfe genauerer Analyse: "Ich würde vermuten, dass es nicht zur Aufheizung und Explosion käme, weil die Energie zuvor durch Vulkanismus abgebaut würde." Zudem sei das Rezept für das Inferno ungenügend beschrieben: Schon kleine Abweichungen brächten die nukleare Kettenreaktion zum Erliegen.

Immerhin gibt es Beweise für natürliche Kernreaktoren im Erdinneren. Vulkanschloten entweichen bestimmte Sorten von Helium und Xenon, die sich bei nuklearem Zerfall bilden. Diese Substanzen hätten bei der Explosion der Erde in großer Menge entstehen müssen, meinen de Meijer und van Westrenen. Sie müssten sich also auf dem Mond nachweisen lassen. (Axel Bojanowski/DER STANDARD, Printausgabe, 03.02.2010)